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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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Blasinstrumente schimmerten golden im Winterlicht. Der Klarinettist hatte den schwarzen Instrumentenkasten zwischen den Füßen auf den Boden gestellt, aus dem Mantelärmel ragte ein weißer Taschentuchzipfel. Augenblicklich hatten die Hochzeitsgäste ihre Gespräche beendet und waren zur Tür geeilt. Aus der Küche erschien die schwarzgekleidete Tante mit einem Karton, in dem sich Anstecknadeln für die Hochzeitsgäste befanden. Ascher würde ein grün und weißes Papp-Blümchen, das von Tüll umrandet war, an den Revers seiner Jacke gesteckt. Die Tante drängte sich an ihm vorbei und bat ihn, in den Hof zu gehen. Der Wind ließ die Hutkrempen der Musikanten zittern, manchmal schlug ein Stoß einen Mantelsaum um. Als die Musikkapelle zu spielen aufgehört hatte, begannen die Hochzeitsgäste wieder zu sprechen, Wein zu trinken und Krapfen zu essen, die Kinder leckten sich den Staubzucker von den Fingern. Gleich darauf erschien die Braut mit dem Bräutigam. Zuerst sah Ascher die Hochzeitsgäste beiseite treten, dann stand das Paar auf der obersten Stufe und ließ sich anschauen. Die Braut trug weiße Bänder im Haar, ihr Kleid war weiß und reichte bis zum Boden, in einer Hand hielt sie einen Strauß Nelken. Die Musikkapelle hatte wieder zu spielen begonnen, während die Hochzeitsgäste stumm und bewegungslos das Paar betrachteten. Der Bräutigam trug keine Tracht, sondern einen Samtanzug und eine silberne Masche um den Hals und sah dadurch wie ein Fremder aus. Ascher erblickte jetzt Zeiner und die Witwe. Die Witwe kam zu Fuß zum Haus, während Zeiner mit seinem Schwiegervater im Auto sitzen blieb. Ascher ging an den abgestellten Fahrzeugen, deren Kühler mit Gartenblumen geschmückt waren, vorbei und fragte Zeiner, ob er ihn mitnehmen könne. Zeiner öffnete die Wagentür. Sie warteten, bis die Hochzeitsgäste, nachdem die Musikkapelle aufgehört hatte zu spielen, in die Autos gestiegen und ein Stück voraus auf die Straße gefahren waren. Zuletzt lief die Braut mit ihrem Stiefvater den Weg vom Haus hinunter, und Ascher sah, daß sich die Haare und Bänder aufzulösen begannen.
    Er wurde nicht von der Heiterkeit angesteckt, die um ihn war. Er glaubte, daß sie nicht echt war, weshalb, wußte er nicht. Es kam ihm vor, als täuschten sich die Menschen gegenseitig. Aber er war von seinen Gefühlen nicht überzeugt. Vielleicht gefiel es ihnen wirklich, bei einem Fest Regeln einzuhalten, vielleicht war gerade das schön, daß sie voraussehen konnten, was sich ereignen würde, und daß es auch wirklich eintraf. Es gab möglicherweise eine Geborgenheit in der Wiederholung. Wenn die Eltern sahen, daß die Hochzeit ihrer Kinder verlief wie die eigene, beruhigte es sie: Für einen kurzen Zeitraum änderte sich nichts, und da die Eltern sich über die Zukunft Sorgen machten, fanden sie ihre Kinder wenigstens im festgesetzten Ablauf gut aufgehoben. Es bedeutete vermutlich auch die Anerkennung ihrer eigenen Werte, dachte Ascher. Der Wein stieg ihm in den Kopf. Sie fuhren hinter den Autos her. Die Bauern standen vor den Häusern und schauten neugierig und stumm den Zug an. Ascher kannte viele Gesichter, doch er schien von ihnen abgeschieden zu sein. Auch Zeiner und andere Hochzeitsgäste grüßten nicht hinaus. Bevor die Straße wieder anstieg, wurden sie aufgehalten.
    »Unterwegs sperren sie die Straße ab«, sagte Zeiner. »Da muß der Trauzeuge bezahlen, daß wir weiterfahren dürfen«, ergänzte der Schwiegervater. Zumeist würden kleine Szenen auf der Straße gespielt, sagte Zeiner, würde mit Eisstöcken auf dem Asphalt geschossen, eine kleine Mauer aufgebaut, ein Auto repariert, eine Messe gelesen. Und natürlich Wein getrunken, fuhr er fort. »Das macht den Hochzeitsgästen viel Spaß, ich bin aber nicht neugierig.«
    Der Schwiegervater stimmte ihm zu. Die Hochzeitsgäste waren ausgestiegen und nach vorne gegangen, Ascher hörte sie lachen. Auch das Auto der Musikkapelle hatte gehalten, die Musikanten waren mit den Instrumenten aus dem Wagen geklettert und hatten wieder zu spielen begonnen.
     
    Vor der Kirche wartete eine Gruppe der Hochzeitsgäste mit der Braut, eine andere mit dem Bräutigam. Der Bräutigam hatte einen schwarzen Mantel angezogen, die Braut fror. Die Musikkapelle war die Stiegen hinaufgeklettert und spielte neben dem Pfarrhaus, der Pfarrer aber ließ sich nicht blicken. Ascher stand mit Zeiner vor dem Gasthaus. Eine Weile spielten die Musikanten, dann wurde auch ihnen kalt, und sie vertraten sich die

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