Der stille Ozean
leichtfüßig und geschickt sie war. Als ob sie Aschers Überraschung gespürt hatte, sagte sie: »Das Tanzen ist unser wichtigstes Vergnügen.«
Je später es wurde, desto hektischer drehten sich die Paare. Die Braut lachte immer häufiger, und Haarsträhnen und Bänder hingen in ihr Gesicht. Eine Weile hörte Ascher auf die tiefen Töne des Euphoniums. Sie hatten für ihn einen Ausdruck von Bestimmtheit, den er mochte. Dann kam Hofmeister vorbei und faßte ihn am Arm. Er stellte ihm seinen zweiten Sohn vor. »Sie kennen ihn nicht, denn er ist vor ein paar Wochen in eine Bohrmaschine geraten«, sagte er. »Bis vor kurzem war er im Krankenhaus. Zeige Herrn Ascher deine Narben.« Der junge Mann setzte sich auf einen freien Sessel neben ihn und knöpfte das Hemd auf. Ascher sah mehrere rote Linien, die über seine Brust liefen, und die querlaufenden Narben der Nähte.
»Es sind über dreihundert Nähte«, fuhr Hofmeister fort, »Sie können sich vorstellen, wie schwer er verletzt war.« Er befahl seinem Sohn, das Hemd zuzuknöpfen und ging mit ihm hinaus, um Likör zu trinken. Eine Weile saß Ascher nun da und schaute der Hochzeitsgesellschaft zu. Einer der Hochzeitsgäste traf die Wahl seiner Tanzpartnerinnen, indem er sich torkelnd erhob und die lange Tafel hinunterging. Drehte ihm eine Frau das Gesicht zu, so bat er sie zum Tanz. Wenn die Frau sich erhoben hatte, fragte er den nebenstehenden Mann um Erlaubnis. Ohne Anzeichen einer Anteilnahme brachte er die Frau auch wieder an ihren Platz zurück. Ascher gegenüber saß eine alte Frau mit einem Kopftuch und einem griesgrämigen Gesicht. Als er sie ansprach, gab sie ihm keine Antwort, sie hatte ihn jedoch ihre Suppe einschenken lassen und gestattete es ihm auch, allerdings ohne ein Zeichen des Einverständnisses, daß er ihr Weinglas füllte. Nun aß sie mit unverändertem Gesichtsausdruck Kuchen und schenkte sich selbst regelmäßig und rasch Wein aus der Karaffe nach. Ein jüngeres Paar, das neben ihr saß, ein schwarzhaariger, mürrisch aussehender Mann und eine dicke unansehnliche Frau, unterhielt sich währenddessen flüsternd über sie. Blickte sie zu den beiden auf, dann tadelten sie sie mit Blicken, Kopfbewegungen und strengen Mienen. Die alte Frau ließ sich jedoch nicht davon beeindrucken. Sie schenkte sich Wein nach, und als Ascher später zu ihr hinsah, stellte er fest, daß sie eingeschlafen war, den Kopf auf eine Hand gestützt. Kaum hatte das junge Paar bemerkt, daß Ascher die schlafende Frau aufgefallen war, versuchte es, sie zu wecken, sie verharrte jedoch in ihrer Haltung. Dann wiederum nahm sie rasch von den Bäckereien und aß schmatzend, wie um das junge Paar zu ärgern.
Inzwischen hatte er die junge Braut beobachtet, die einen Gast zum Tanzen aufgefordert hatte. Nach der Polka war sie mit offenen Haaren hinausgestürmt, der Gast hatte sich mit einer Serviette die Stirn abgewischt und gelächelt, solange er den Eindruck hatte, daß er von den anderen beobachtet wurde, dann hatte er ein Glas Wein getrunken. »Drei Wochen nach ihrem Tod ist mir meine Frau zum ersten Mal erschienen«, hörte er Zeiners Schwiegervater mit lauter Stimme sagen: »Ich bin gerade in der Früh über den Hof gegangen, es war zwischen fünf und sechs Uhr, da ist sie in der Morgensonne plötzlich vor mir gestanden. Ich habe sie gefragt: Was willst du? Und sie hat geantwortet: Sei mir nicht böse. Ich habe sie daraufhin gefragt: Weshalb soll ich dir böse sein? Daraufhin hat sie geantwortet: Du weißt schon, weshalb … Ich hätte daraufhin sagen sollen: Gelobt sei Jesus Christus, statt dessen habe ich mich auf ein Gespräch eingelassen und da ist sie verschwunden. Nicht viel später ist sie mir im Traum erschienen. Es geht mir gut, hat sie gesagt.« Daraufhin habe er sie gefragt, wie es ›drüben‹ sei. Sie habe geantwortet, sie lebe in einem unterirdischen Schloß und verrichte eine schöne Arbeit. Sie sei mit mehreren anderen Frauen beisammen und habe Gewand auszubessern. »Glaubst du es nicht?« fragte er seinen Nachbarn. »Doch, doch«, antwortete dieser.
Die Musik hatte eine Pause gemacht, und Ascher war ins Freie getreten, um frische Luft zu atmen. Er begegnete dabei der Braut, die aus der Küche kam und dort das Mieder ausgezogen hatte. Einer ihrer Strümpfe war hinuntergerutscht, und sie zupfte ihn zusammen mit ihrem weißen Kleid beim Gehen hinauf. Sie lächelte ihn freundlich an, weshalb er sich für seine Beobachtung schämte. Tatsächlich fühlte er sich
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