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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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wohl. Er blieb ein wenig vor dem Gasthaus und hörte dort einen der Gäste (wie sich später herausstellte, war es der zweite Trauzeuge) singen.
    Beim Eintreten in den Ballsaal spürte Ascher, daß der Bretterboden von den Tanzenden vibrierte. Das gefiel ihm. Er setzte sich an den Tisch und sah wieder den Tanzenden zu, wobei ihm ein älterer Mann auffiel, der mit einem Kind tanzte, indem er eine Hand wie absichtslos auf das Gesäß oder die kleine Brust fallen ließ. Das Mädchen machte ein abwesendes Gesicht, als bemerkte es nichts. Ascher fiel ein, daß er diese Beobachtung schon öfters gemacht hatte. Indem aber das Mädchen Gleichgültigkeit ausdrückte, konnte nichts Unrechtes geschehen sein. Der junge Bursche mit den Narben auf der Brust kam zur Tür herein und wurde von einem der Gäste mit »Heil Hitler!« begrüßt. Ascher hätte es vermutlich nicht wahrgenommen, wenn er nicht dem dicken Mann, der am anderen Ende der Tafel saß, begegnet wäre. Dadurch fiel ihm auch auf, wie sehr die Hochzeitsgäste, gerade, wenn sie fröhlich und ausgelassen waren, in Redensarten sprachen: »Lustig geht die Welt zugrunde!« sagte eine Tanzende. Ein anderer rief: »Dem Glücklichen schlägt keine Stunde!«, über jede dieser Bemerkungen wurde gelacht.
    Der Schwiegervater Zeiners saß jetzt mit schweren Augenlidern da. Ascher hatte übersehen, daß es Mitternacht geworden war. Die Kapelle kam vom Podium herunter und stellte sich hinter die Gäste. Die Gäste standen einzeln auf, wünschten »Gesundheit für die Brautleute, für die Beistände beiderseits und die geladenen Hochzeitsgäste«. Dann lasen sie Reime, die sie sich über das Brautpaar oder andere Hochzeitsgäste ausgedacht hatten und denen eine wahre Begebenheit zugrunde lag, vor. Nach jedem Reim spielte die Kapelle einen Tusch. Zumeist handelte es sich um Anspielungen, Ascher hatte bemerkt, daß an der Hochzeitstafel von Männern wie Frauen in größter Offenheit geredet und gespaßt wurde, wobei die kräftigsten Bemerkungen am lautesten belacht wurden, besonders dann, wenn sie von Frauen gemacht worden waren. Die Kinder schwiegen verständnislos oder blickten weg und taten, als bemerkten sie nichts. Der Wirt trat mit einem Korb hinter die Hochzeitsgäste und sammelte Geld für die Musik. Zu Aschers Überraschung stellten sich der Wirt und die Kapelle auch hinter ihn, er erhob sich, wünschte Glück und warf eine Banknote, die er inzwischen herausgezogen hatte, in den Korb. Er war der letzte der Gäste gewesen, und zu seiner Erleichterung wandte sich die Aufmerksamkeit sogleich wieder von ihm ab. Die Menschen kamen ihm jetzt wie Auswanderer vor, die alte Bräuche pflegten. Der Bräutigam war Automechaniker, die Braut Schneiderin. Nur Hofmeister arbeitete nebenbei zu Hause und natürlich auch seine Frau. Ascher hatte gesehen, daß sie den Hof führen und auf dem Feld helfen, das Vieh füttern, kochen, die Kinder erziehen mußte. Einmal hatte er eine Frau mit einem Liegegips über einen Hof zum Viehstall humpeln sehen. Als er sie gefragt hatte, weshalb sie mit ihrem verletzten Fuß aufgestanden sei, hatte sie gesagt: »Niemand macht die Arbeit für mich.« Die Mutter der Braut arbeitete in der Hühnerfabrik in Pölfing Brunn, der Stiefvater in der Landwirtschaftlichen Genossenschaft in Wies. Sie besaßen keinen Grund, nur ein Haus mit einem Vorgarten. Es gab in der Nähe von St. Ulrich viele solcher Häuser. Die Braut hatte sich auf einen Stuhl gesetzt, und der Trauzeuge nahm ihr vorsichtig die Bänder aus den Haaren, die Mutter war hinzugetreten, hatte sich die Bänder und den Kranz auf den Kopf gesteckt und begonnen, mit einem Gast zu tanzen. Als die Musikanten zu Ende gespielt hatten, lief der Beistand auf die Bühne und sang, was ihm gerade einfiel. Es waren Zweizeiler, die er aus dem Stegreif dichtete und die sich mit der Hochzeitsnacht beschäftigten. Die Hochzeitsgäste saßen schweigend da und warteten auf das Backhuhn, das nach Mitternacht serviert würde. Manchmal lachten sie bei einem Zweizeiler auf. Ascher war benommen vom Wein. Als ihm Zeiners Schwiegervater zurief, ihm gefalle, was der Beistand singe, pflichtete er ihm bei. Er bemerkte, daß Hofmeister erleichtert war, und wiederholte seine Bemerkungen, um Hofmeister zu gefallen. Daraufhin lachte Hofmeister laut zu ihm herüber. Das Backhuhn wurde serviert, und die Hochzeitsgäste begannen zu essen, während der Beistand fortfuhr zu singen. Die alte Frau war zuvor aufgewacht, umständlich hinausgegangen

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