Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
Vom Netzwerk:
einen Straßenstein geschlagen. Dann habe ich mein Messer herausgenommen und ihm die Kehle durchgeschnitten. Ich war angewidert vom Töten. Den Hasen habe ich in den Kofferraum gelegt und am nächsten Tag verschenkt.« Aber es gäbe genug Menschen, die dabei ein Lustgefühl empfänden. Sie könnten sich stundenlang Geschichten über das Töten erzählen: Manche »Heimkehrer« und Jäger seien diesbezüglich gleich. Die Jungen erbten den Fanatismus von den Vätern; das beziehe sich auch auf die Arbeit. Bestimmte Familien seien dafür bekannt, daß die Arbeit ihren Lebensinhalt ausmache, andere wiederum für das Gegenteil. Es gäbe solche, die kaum einen Tag ihres Lebens ohne Arbeit verbracht hätten, die nicht nach fünf Uhr aufstünden und trotz schwerster Belastung nicht vor 10 Uhr schlafen gingen. Darauf seien sie stolz, allgemein würde dies auch anerkannt. Wenn aber mehrere Söhne bei einem Hof seien und einer von ihnen bleibe, während die anderen arbeiten gingen, komme es häufig zu Schwierigkeiten. Denn die Söhne, die arbeiten gingen, würden im Laufe des Jahres Urlaub machen, hätten ein freies Wochenende, Feiertage, Krankenstände und seien nach Dienstschluß selten so müde, daß sie sofort zu Bett gingen. Sie hätten Geld und seien unabhängig, würden mit einem Auto fahren, während der Bruder nur den Traktor zur Verfügung hätte. Auch hätten die arbeitenden Söhne selten mehr etwas für den Bauernstand über, bisweilen verachteten sie ihn sogar. Der Jungbauer hätte zudem im Gesundheitssystem Nachteile: Er müsse dem Doktor zuerst bar auf die Hand zahlen, die Bauernkrankenkasse, die an sich zwar eine Errungenschaft sei, die es aber noch nicht lange gäbe, bezahle meist nur etwas mehr als die Hälfte zurück. Auch im Krankenhaus müßten die Bauern an den ersten zehn Tagen zwanzig Prozent selbst dazuzahlen, während Arbeiter und Angestellte alles bezahlt bekämen.
    »Machen Sie es gut«, sagte er plötzlich und gab Ascher die Hand.
     

20
     
    Als Ascher im Haus war, spürte er den Alkohol und die Müdigkeit so sehr, daß er sich auf die Dachbodenstiege setzte. Dann suchte er das Gewehr und die Pistole und legte sie auf den Küchentisch. Beim Angreifen hatte er das Gefühl, daß er nichts mit ihnen zu tun hatte. Er würde Golobitsch bitten, sie für ihn zu verkaufen. Er stützte seinen Kopf auf den Tisch und schlief über das Gewehr gebeugt ein. Etwas später wurde er wach und stieg zu seinem Zimmer hinauf. Er würde abwarten, was geschehen würde. Dann würde er seiner Frau schreiben. Es konnte sein, daß man ihn nicht mehr haben wollte, nachdem man erfahren hatte, wer er war. Vielleicht würde er zurück in das Krankenhaus gehen, vielleicht in eine andere Stadt ziehen. Andererseits verspürte er eine starke Neigung zu bleiben, er wußte nicht warum. Er hatte mehr als zehn Jahre an der Klinik gearbeitet. Er war ein guter und tüchtiger Operateur gewesen. Dann hatte er aus Unachtsamkeit einen Fehler begangen. Alles weitere war automatisch abgelaufen: Die Benachrichtigung durch das Pathologische Institut, die Staatsanwaltschaft war eingeschaltet worden, es war zu einer Verhandlung gekommen, die Zeitungen hatten berichtet. Daraufhin hatte er seinen Vertrag gelöst und war herausgezogen. Man hatte ihm angeboten, ihn wieder aufzunehmen, falls er nicht länger als sechs Monate wegbleiben würde, aber er hatte insgeheim nicht mehr die Absicht, zurückzukehren. Als er die Augen schloß, tauchten Bilder der Hochzeit und des Krankenbesuches in seinem Kopf auf und vermischten sich mit der Stimme des Doktors. So schlief er ein. Am nächsten Tag erwachte er beim ersten Morgenlicht. Vom Nachbarn hörte er schon die Maschinen laufen, und sein Kopf schmerzte. Er dachte an das Tier unter der Decke in seinem Dachbodenzimmer, aber es war ihm gleichgültig, was es nun trieb. Er stöberte in der Medikamentenschachtel, fand eine Kopfschmerztablette, zerbiß sie und trank einen Schluck Mineralwasser. Er konnte nicht lange geschlafen haben. Er blickte auf die Uhr: Es war knapp vor sieben. Als er vor das Haus trat, war er überrascht, daß es nicht kalt war. Über dem Hof des Nachbarn stand ein großer goldgelber Bogen, der von einer violetten Wolkenmaserung unterbrochen war. Darüber breiteten sich violette Wolken mit roten Streifen aus, die sich im Blau des Himmels verloren. Er ging um das Haus und hörte im Schatten das Eis unter seinen Füßen krachen. Im Süden, wo die Berge sich erhoben, leuchtete der Himmel hellrosa,

Weitere Kostenlose Bücher