Der stille Ozean
Prozeßausgang lustig gemacht, denn es sei doch ein Zufall gewesen, daß ausgerechnet er einen Prozeß, den er im Glauben an das Recht angestrengt, verloren habe. Er schien wie aus einem Traum aufzuwachen, plötzlich begann er seinen Kopf ablehnend hin und her zu bewegen. Ascher spürte einen kalten Luftzug im Rücken, während er dem Gendarmen, der nun offensichtlich froh war, daß er in Ascher einen Fremden vorfand, dem er die Verhältnisse erklären konnte, zuhörte. Andererseits sei die Summe, um die es gegangen sei, nicht so groß gewesen, daß man sich hätte darüber derart empören können, sagte er mit Verachtung. Über den ›Tathergang‹, wie er es nannte, wisse er so viel, daß Lüscher in der Früh mit seiner Familie neuerlich über den Reitklub und den verlorenen Prozeß diskutiert habe.
Dabei habe er plötzlich Nasenbluten bekommen. Er habe seine Kinder, die gerade zur Schule aufgebrochen seien, angeschrien, er vertrage kein Unrecht, und sie sollten achtgeben, daß sie nicht ›hineingelegt würden‹. Das habe seine Frau ausgesagt. Hierauf habe er ein Transistorradio zertrümmert und sei zum Nachbarn gelaufen. Dort seien nur dessen Frau und die Schwiegertochter anwesend gewesen, der Nachbar selbst, ein Jäger, sei im Revier gewesen. Der Mann habe zwei Gewehre verlangt und die Frauen in ein Zimmer gedrängt. Dann habe er die Gewehre an sich genommen und sei davongestürzt. »Was jetzt gefolgt ist, ist das Traurigste von allem«, sagte der Gendarm. Er machte einen Schritt auf den Toten zu und blickte abwechselnd ihn und Ascher an. Lüscher habe die Frauen zwar eingesperrt, sie hätten sich aber befreien können und den Bürgermeister und die Gendarmerie angerufen, jedoch niemanden erreicht, fuhr er fort. Die zwei Gendarmen (Freunde von ihm) hätten gerade einen Verkehrsunfall erhoben. Lüscher sei mit den Gewehren inzwischen zum Haus der Familie Egger geeilt, habe die Frau und den Mann erschossen und sei dann über die Bundesstraße gelaufen. Dort seien ihm die beiden Gendarmen entgegengekommen. Sie hätten schon vom Diebstahl der Jagdgewehre gewußt, denn die Gattin des Jägers sei ihnen entgegengelaufen, um Anzeige wegen des Gewehrraubes zu erstatten. Nichtahnend, was inzwischen vorgefallen sei, seien sie aus dem Wagen gesprungen, Lüscher habe sie jedoch sofort bedroht. Sie hätten seine Bedrohung ernst genommen, denn er sei außer sich gewesen, auch sei das Gesicht vom Nasenblut verschmiert gewesen. Nachdem sie hinter ihrem Auto Deckung gesucht hätten, habe sich Lüscher Schritt für Schritt zurückgezogen. Als er um die Ecke gebogen war, seien sie gelaufen, um die Dienstpistolen zu holen. Sie seien nämlich beide unbewaffnet gewesen. Inzwischen habe Lüscher Herbst erschossen. »Der Rest wird sich herausstellen«, schloß er.
Der Schuß hatte den Mann in die Brust getroffen und ein Loch in der Kleidung hinterlassen, das Gesicht aber sah aus wie im Schlaf. Der Körper war vor einem Tisch ausgestreckt, auf dem Flaschen, umgestellte Trichter, ein Karton mit Korken und Werkzeugen sowie eine Zange und ein Franzose lagen. Auch Wassergläser, Fetzen und eine Kerze fielen Ascher auf. Alles war so unordentlich, daß es wie aus einem Bewegungsprozeß gerissen und augenblicklich erstarrt zu sein schien. Er bemerkte nun erst, daß er auf einem Gummischlauch stand und stieg herunter. Beim Hinausgehen trafen sie auf den Bestatter aus Maltschach. Zwei Taubstumme zogen gerade einen Sarg aus dem Wagen und trugen ihn zum Weinkeller. Die beiden Alten im Hof folgten ihnen, auch der Bestatter. Er grüßte Ascher mit einem kurzen Kopfnicken. Ein Polizist in Mantel und Hut begleitete ihn. Die Taubstummen machten abwesende Gesichter, einer von ihnen, den der Bestatter von der Anstalt Feldhof als Arbeitskraft aufgenommen hatte, grüßte jeden freundlich lächelnd, setzte aber dann ohne Übergang wieder ein ernstes Gesicht auf. Als der Vordermann Mühe hatte, den Sarg die zwei Stufen hinunterzutragen, strahlte er und schaute auf die anderen, in Erwartung, daß sie ebenfalls lachen würden. Draußen im Hof war die Frau schon weggetragen worden. Nur noch einen Blutfleck konnte man im Schnee sehen, und dort, wo die Frau gelegen war, war der Schnee geschmolzen, so daß man ihren Abdruck erkannte. Ascher ging an einem abgedeckten alten Haus vorbei zur Schule. An das alte, gelbe Gebäude mit einer eisernen Wetterfahne schloß ein neues an. ›Kaiser-Franz-Joseph-Schule‹ las er auf dem Gebäude von weitem. Ein Zaun umgab
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