Der stille Ozean
als schaute er auf die Gruppe Gendarmen. Auf beiden Seiten der Straße bemerkte er Gasthäuser, eines war besonders groß, vermutlich mit einem Saal, der sich bis weit hinter die Straße erstreckte. Dann sah er ein dreieckiges, neugebautes Kriegerdenkmal. Vor dem kleinen Gasthaus sprachen ihn zwei Männer mit blauen Schürzen und Hüten an, ob er von der Kriminalpolizei sei. Als er verneinte, wollten sie nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er ging an abgestellten Autobussen ohne Nummerntafeln und einem Schulbus vorbei. Im Haus des Frächters befand sich eine Schneiderei, aber auch dort waren die Rolläden geschlossen. Hinter dem Frächter folgte ein weißgestrichener, kleiner Hof, der von Menschen und Gendarmen umstellt war. Also war er richtig gegangen. Während in dem einen Hof alles abgesperrt worden war, hatte Ascher hier den Eindruck von Unordnung. Die Fahrzeuge standen kreuz und quer herum, die Gendarmen riefen sich Anweisungen zu, Ascher verstand so viel, daß man eine Seite des Waldes umstellen wollte und sich zum Aufbruch fertigmachte. Der Hof war groß und nicht umzäunt, so daß er frei zutreten konnte. Die Menschen verhielten sich wie die anderen vorhin. Einige warteten vor einem Schuppen mit Brennholz, an dem eine Vogelscheuche lehnte. Die Gebäude sahen schäbig aus. Da und dort fehlte der Verputz, ein Stück weiter weg pickte eine Schar Hühner Maiskörner vom Boden auf. Aber der Hof machte doch den Eindruck von Größe. Aus einem Stall hörte er eine Kuh, Ketten rasselten, und die Tiere stießen dumpf gegen die hölzerne Krippe. Kaum war Ascher an einem Wirtschaftsgebäude vorübergegangen, versperrte ihm einer der Gendarmen den Weg.
»Suchen Sie etwas?« fuhr er ihn an. Sein Gesicht war voller Abwehr und verhaltener Wut. Wahrscheinlich haßte er die Neugierigen. Er haßte jeden einzelnen, denn Ascher hatte zuvor gesehen, wie er sie ein Stück weitergeschubst und angeschrien hatte. Sein Stahlhelm war verrutscht, obwohl er mit einem Lederband um das Kinn festgeschnallt war. Ascher antwortete, er habe gehört, daß jemand erschossen worden sei, darum sei er hierher gekommen, er sei Arzt. »Sind Sie der neue Arzt von Arnfels?« fragte der Gendarm mißtrauisch und noch immer mit lauter Stimme. Ascher verneinte.
»Wir kennen Sie aber nicht«, sagte er daraufhin. »Wenn Sie wollen, können Sie in meinen Rucksack schauen.«
Der Gendarm warf einen oberflächlichen Blick in den Rucksack und schüttelte den Kopf. Dann bedeutete er mit einer Handbewegung, daß Ascher verschwinden möge. In diesem Augenblick rückten die anderen Gendarmen ab, sprangen in die Fahrzeuge, rafften ihre Mäntel über den Knien zusammen und ließen sich mit starren Gesichtern wegfahren. Ascher holte den Ausweis aus der Jacke, die er unter dem Mantel trug, und hielt ihn dem Gendarmen hin. Als ob er durch die Abfahrt seiner Kameraden unsicher geworden sei, stutzte er einen Moment und sagte herablassend: »Also gut, gehen Sie hinein, aber beeilen Sie sich.« Der Hof sah von innen noch ungepflegter aus. In der Tenne erblickte er ein Fahrrad ohne Räder. Fuhrwerkteile waren auf einen Haufen zusammengeworfen, der hölzerne Brunnen war vermorscht, und der Pumpenhebel fehlte. Aber im Viehstall mußten mindestens fünfzig Stück Vieh stehen, dann gab es noch einen Schweinestall, und ein Traktor war in der Tenne abgestellt, während ein anderer mitten im Hof stand, als sei er die Ursache der Ereignisse. Dahinter lag eine Frau mit seltsam verrenkten Gliedmaßen auf dem tauenden Schnee. Sie war in Strümpfen, die Schuhe hatte sie verloren. Ascher sah ein Stück weiter weg einen Korb mit Heu, der wie zufällig hingeworfen wirkte. Er konnte das Gesicht der Frau nicht erkennen, denn es war der Erde zugewandt, und ein nervöser Gendarm ging in einem fort um sie herum, während eine ältere Frau und ein alter Mann weinend vor dem Traktor standen. Die Frau hielt sich ein Taschentuch vor das Gesicht. Sie und der Mann blickten nicht auf, beachteten Ascher auch nicht, sondern schauten sich gegenseitig auf die Brust, der Mann mit gefalteten Händen. Zwischendurch beugten sie sich über die Tote, die ein schwarzes Kopftuch, eine Schürze und ein blaues Kleid trug. Ihre Handflächen waren nach oben gedreht, wodurch sie für Ascher noch hilfloser aussah. Das Blut hatte im Schnee einen dunklen Fleck hinterlassen. »Der Mann liegt im Keller«, sagte der Gendarm, der sich inzwischen wieder beruhigt hatte und Ascher, ohne daß dieser es bemerkt hatte, gefolgt
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