Der stille Sammler
anschließende Rückzug aus dem Garten wären ein Leichtes gewesen, hätte mich nicht einer der Möpse entdeckt. Er hatte mich durch das Glas der Tür beobachtet, und nun stimmte er ein lautes Gebell an, in das sogleich der zweite Hund einfiel. Oben im Schlafzimmer ging das Licht an.
Ich duckte mich gerade rechtzeitig hinter Franziskus’ Statue, als auf der Terrasse auch schon das Licht aufflammte. Ich wagte nicht hinzusehen, sondern lauschte angestrengt, als Carlo die Tür öffnete und den Möpsen befahl, im Haus zu bleiben (für den Fall, dass sich ein Kojote im Garten herumtrieb). Ich erspähte seinen Schatten, als er mitten im Garten stehen blieb und sich zu einem leichten Ziel für jeden machte, der an meiner Stelle im Dunkeln gelauert hätte. Es war wie eine Szene aus einer der komischen Opern, die er so liebte. Angewidert von mir selbst erhob ich mich und trat hinter der Statue hervor. Seine Sicherheit war mir wichtiger als mein Stolz.
»Mein Gott!«, rief er erschrocken und ließ die Taschenlampe fallen, die er bei sich getragen, aber nicht eingeschaltet hatte. Wir schlafen beide nackt, deshalb bemerkte ich, dass sein Körper die gleiche Farbe angenommen hatte wie der Garten. Die Haut schimmerte im silbernen Mondlicht marmorgrau wie die eines Toten auf dem Untersuchungstisch. Noch so ein Bild, auf das ich gerne verzichten konnte.
»Wenn du schon aus dem Haus gekommen bist, kann ich dir auch gleich eine Frage stellen«, begann ich ohne Begrüßung und Entschuldigung.
Er starrte mich in der Dunkelheit an, die Hände zu Fäusten geballt. Seine Haltung verriet die Art von Zorn, die man an den Tag legt, wenn man gerade zu Tode erschreckt wurde. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als zu ihm zu rennen und ihn in die Arme zu schließen, ihn zu halten und zu trösten, aber das ließ mein Stolz einfach nicht zu. Er würde mich von sich stoßen, hatte sich bereits innerlich von mir befreit, das konnte ich spüren.
»Lass die Abendspaziergänge vorerst sein«, sagte ich mit der gleichmütigsten Stimme, zu der ich unter den gegebenen Umständen fähig war – dem Tonfall, mit dem man einem Autofahrer den Weg erklärt. »Halt die Türen verschlossen und mach die Fenster zu. Wenn die Hunde bellen, komm nicht gleich aus dem Haus gerannt, hörst du? Bleib drinnen. Zieh nicht mal eine Jalousie hoch, um durch ein Fenster nach draußen zu spähen. Wenn tagsüber jemand an die Tür kommt, den du nicht kennst, lass ihn nicht rein …«
»Das reicht!« Er riss die Hände hoch, als hätte er die Nase voll. »Das ist verrückt. Seit dem Tag, an dem du gestürzt bist, wie du sagst, führst du dich auf wie die Figur aus einem Kriminalroman.«
Das saß, insbesondere aus dem Mund des Mannes, den ich liebte, doch ich verstand seine Empörung. »Es könnte sein, dass du in Gefahr bist. In großer Gefahr. Ich weiß nicht, wie ich es dir sonst sagen soll, und ich habe nicht die Zeit, es dir zu erklären.«
»Wie lange?«, fragte er.
»Das weiß ich nicht. Ich muss eine Frau finden, die wahrscheinlich gekidnappt wurde. Offenbar bin ich die Einzige, die diese Möglichkeit in Betracht zieht, aber wenn ich nicht nach der Frau suche, stirbt sie vielleicht, falls sie nicht schon tot ist. Ich fürchte, sie hat höchstens noch vierundzwanzig Stunden. Das ist die einzige Wahrheit, die mir im Moment wichtig ist, Carlo. Geh zurück ins Haus, hörst du?«
Er bückte sich, hob seine Taschenlampe auf und nahm eine Haltung ein, als wollte er mich damit schlagen, fing sich dann aber. »Glaubst du, das war alles?«
Jetzt war es an mir, ihn anzustarren und darauf zu warten, dass mehr kam.
Er versuchte, so gleichmütig zu klingen wie ich, und beinahe wäre es ihm sogar gelungen. »Glaubst du ernsthaft, du könntest einfach herkommen, mir eine rätselhafte Warnung geben und wieder verschwinden? So geht das nicht in der wirklichen Welt, Brigid. In der wirklichen Welt gibt es auch andere Menschen. Mich zum Beispiel.« Er zögerte, atmete tief durch. »Max war hier.«
»Wann?«
»Heute Morgen.«
»Was wollte er?«
»Er hat mir eine Menge Fragen über dich gestellt. Wo du warst und was ich über den Tag wisse, an dem der Mann unten im Flussbett gestorben ist. Er wollte wissen, ob du noch den Gehstock hast, den ich für dich gemacht habe. Er war völlig außer sich.«
»Was hast du ihm erzählt?«, fragte ich atemlos und mit ehrlicher Neugier. Es gab so viele erfundene Geschichten, dass ich nicht wusste, welche er kannte und welche nicht.
»Die
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