Der stille Sammler
fragte ich ihn bei Tonys Kaugeräuschen.
Er blickte mich aus leicht glasigen Augen an, und ich konnte erkennen, dass er nicht aus seiner Lektüre aufgetaucht war und wahrscheinlich noch Französisch dachte. »Hm?«, fragte er.
»Schon gut.«
Yves versenkte sich wieder in die Welt, die er beiseitelegen konnte, wenn es sein musste.
»Könntest du ein bisschen auf den Dingern lutschen, bevor du sie zerbeißt, Tony?«, bettelte ich. »Damit sie weich werden und nicht so einen Lärm machen? Wie willst du bei dem Krach Jessica hören?«
Ein lautes Knirschen drang durch meinen Kopfhörer, als Jessica auf meine Worte reagierte. Sie konnte uns genauso gut hören wie wir sie. »Hey, Tony!«, sagte sie, den Mund voller Tortillachips. Sie kaute darauf und schluckte sie hinunter, sodass wir ihre nächsten Worte besser verstehen konnten. »Komm, wir machen ein Experiment. Wir finden heraus, wie lange wir lutschen müssen, um eins von den Dingern weich zu machen. Auf die Plätze, fertig … los!«
Ein lautes Schmatzen und Saugen erklang, das noch schlimmer war als das Knirschen zuvor. Selbst Yves lachte. Sie waren alle drei gegen mich in jener Nacht, die kleinen Bastarde. Und die Kerle waren beide in Jessica verliebt.
Wir konnten nicht sicher sein, dass der Killer nur des Nachts operierte, deshalb waren wir bereits vom späten Nachmittag an dort gewesen, sobald es ein wenig kühler geworden war und eine Tramperin draußen am Straßenrand halbwegs glaubhaft erschien.
Die Stunden zogen sich hin. Die einzige Abwechslung waren die Augenblicke höchster Alarmbereitschaft, wenn es für eine Sekunde so aussah, als könnte etwas passieren, was sich jedes Mal als Irrtum erwies. Jessica und ich unterhielten uns, aber die meiste Zeit redete sie mit Tony über Musik und Fernsehserien und Prominente, deren Namen ich noch nie gehört hatte.
Dann meldete Jessica unvermittelt, dass sich ein Wagen näherte und langsamer wurde.
Sie warf einen Blick auf den Fahrer. »Sieht aus wie ein Mann, zwanzig bis dreißig Jahre alt. Fährt einen kleinen Tieflader. Soll ich?«
Ich habe ihr Gesicht vor Augen und kann mir genau vorstellen, wie sie sich ein wenig vom Lastwagen abwandte, sodass dem Fahrer die Bewegung ihrer Lippen verborgen blieb.
»Auf geht’s!«, sagte ich. »Du bist ganz in der Nähe vom Rastplatz. Es sollte nicht lange dauern, bis du ihn als potenziellen Täter ausschließen kannst.«
Der Lastwagen hielt. Jessica wartete, bis der Fahrer die Scheibe heruntergelassen hatte. Ich stellte mir vor, wie sie ihren kleinen Rucksack von der Schulter nahm, als wollte sie einsteigen.
»Nehmen Sie mich mit?«, fragte sie mit ihrer Kleinmädchenstimme.
»Wenn du mir einen bläst«, hörten wir den Kerl erwidern.
Jessica schwieg. Ich stellte mir vor, wie sie tat, als müsste sie überlegen. Von Sig wusste ich, dass wir nach einem Kerl suchten, der sich gut verstellen konnte, einen Mann mit Charme und sympathischem Auftreten.
»Er ist nicht unser Mann«, flüsterte ich ins Mikrofon. »Der würde keinen so dämlichen Spruch von sich geben, bevor du eingestiegen bist. Gib ihm den Laufpass.«
»Verpiss dich«, sagte Jessica, und der Mann fuhr lachend davon.
Sie schlenderte weiter. Ein paar Fahrzeuge mit Kerlen, die allein unterwegs waren, kamen vorbei. Die Aufzeichnungen zeigen, dass sie um 21.17 Uhr von einem weiteren jungen Mann aufgesammelt wurde, der deutlich höflicher war als der erste. Ich benutze den allgemeinen Ausdruck »junger Mann«, weil es das war, was Jessica immer gemurmelt hatte, bevor sie in einen Wagen gestiegen war. Mehr konnte sie nicht tun, ohne den Kerl zu warnen, dass sie verdrahtet war.
Wir saßen in unserem Van und lauschten eine Zeit lang der banalen Unterhaltung.
»Wie heißt du?«
»Natalie. Und du?«
»Richard. Richard Rogers.«
»Du meine Güte!«, flüsterte ich, doch keiner der drei anderen schien zu glauben, der Name könnte falsch sein. »Was hörst du da?«, wollte Rogers von ihr wissen.
»The Ramones.«
»Das ist ’ne verdammt alte Band. Wie alt bist du?«
»Siebzehn«, erwiderte sie nach einer Pause, die ihre Antwort wie eine Lüge klingen ließ.
Er zögerte. »Diese Straße ist ziemlich weit vom Schuss«, sagte er schließlich.
»Und?«
»Was machst du hier draußen?«
Wir hatten diesen Teil des Skripts vorher durchgesprochen. Ich konnte sehen, wie Tony die Worte lautlos mitsprach, während Jessica sie laut sagte. »Stress zu Hause. Ich bin ausgezogen.«
»Muss ja ein recht heftiger Stress zu
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