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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Becky Masterman
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ihn überwältigte und kampfunfähig machte. Anfang Juni war ich überzeugt, dass sie bereit war, den Job anzutreten. Jedenfalls redete ich mir das ein, denn ich wollte nichts sehnlicher als dieses Arschloch fassen.
    Am Nachmittag des 1. August 2004 saß ich fünfundsiebzig Meilen von Tucumcari in New Mexico in einem jener elektronischen Überwachungswagen, zusammen mit zwei weiteren Agents, die wussten, wie man die Elektronik benutzte. Wir hatten die Klimaanlage laufen – trotzdem stank es nach Schweiß von der Sorte, wie ich ihn als Kind gerochen hatte, wenn Dad mit uns beim Hillsboro Pier angeln war: Schweiß, der nicht so sehr von der schwülen Hitze herrührte, sondern von der Erregung, die Falle endlich zuschnappen zu lassen.
    Genau das hatten auch die beiden Kollegen und ich an jenem Abend vor. Wir warteten, dass der Fisch den Köder schluckte, den wir für ihn an der Schleppangel ins Wasser geworfen hatten: Jessica Robertson. Doch wie in Florida, wo man selten etwas anderes als Kaiserfisch fängt, standen unsere Chancen schlecht, dass der eine Köder den Killer anlockte. Aber die Sache zog sich inzwischen seit vier Jahren hin, und wir waren mehr als bereit, Zeit und Geld aufzuwenden, um unser Ziel endlich zu erreichen.
    Wir hatten Jessica verdrahtet und mit einem GPS -Sender versehen. Sie konnte uns ebenfalls hören, mithilfe eines kleinen Geräts, das wie ein CD -Walkman aussah. Ich kann mich noch an unser Lachen erinnern, als Jessica den Kopf zum Takt eines Songs bewegte, den zu hören sie vorgab.
    Wir hatten ein gutes Stück abseits der Straße geparkt, sodass niemand, der vorbeikam, unseren Van sehen und Verdacht schöpfen konnte. Nahe genug, um Jessicas Signal aufzufangen. Falls sie von einem Verdächtigen mitgenommen wurde, waren wir bereit, die Verfolgung aufzunehmen und gleichzeitig die Highway Patrol entlang der Straße zu alarmieren.
    Ich erinnere mich an einen weiteren Geruch im Van, den von Tortillachips. Tony Vinzetti, einer der Supertechniker, die wir vom FBI -Büro in Albuquerque ausgeliehen hatten, verdrückte Tüte um Tüte von diesem Zeug, um sich die Langeweile zu vertreiben. Jessica mochte die Dinger ebenfalls und hatte eine Tüte mitgenommen, die sie aß, während sie am Straßenrand entlangschlenderte.
    Wir hatten sie nicht wie eine Nutte angezogen, mit Minirock und dünnem Neck Top – das wäre zu verdächtig gewesen. Stattdessen – und wegen ihrer geringen Körpergröße – hatten wir uns für den Typ »jugendliche Ausreißerin« entschieden, der leichter aufzugabeln war als die College-Girls, die gelegentlich durchs Land trampten, und bei Weitem nicht so verdächtig wie eine Prostituierte, die mitten in der Nacht durchs Niemandsland wanderte. Abgesehen davon war es einfacher, die Drähte unter Jeans und einem T-Shirt zu verstecken, das gerade eng genug war, um naiv auszusehen. Es war ein original Rolling-Stones-T-Shirt mit der berühmten roten Zunge.
    Um den Eindruck zu vervollständigen, trug sie einen Rucksack mit ein paar Kleidungsstücken bei sich, unter denen wir den GPS -Sender versteckt hatten. Sie hatte mit rotem Nagellack ein Peace-Zeichen auf die Rückseite gemalt, ein hübscher Einfall. Am Knöchel unter den ausgestellten Hosenbeinen ihrer Jeans trug sie eine kleine Pistole. Unnötig, die Waffe besser zu tarnen – sie ging schließlich nicht zu einem Treffen der Mafia. Wer immer sie auflas, würde sie wohl kaum filzen, und falls er es versuchte, konnte sie ihn auf der Stelle kampfunfähig machen und auf unser Eintreffen warten.
    Ich erinnere mich, dass Tonys Tortillas mich in jener Nacht halb wahnsinnig machten.
    »Musst du so laut darauf herumkauen?«, fragte ich ihn.
    Er knabberte noch lauter, falls das überhaupt möglich war.
    Ich drehte mich zu dem anderen Kerl um, der ungefähr so alt war wie Tony, aber irgendwie vernünftiger, erwachsener. Ich erinnere mich nur noch an seinen Vornamen, Yves oder so ähnlich, jedenfalls irgendwas Französisches. Während wir warteten, hatte er die Nase die ganze Zeit in einem Taschenbuch, einem Roman von Emile Zola. L’Assommoir . Ich habe mir den Buchtitel gemerkt, weil ich ihn immer wieder vor mich hin flüsterte. Ich mochte das Gefühl des Wortes in meinem Mund. Ich fragte ihn, was der Titel des Buches bedeutete, und er antwortete: »Der Totschläger.« Yves war in Montreal geboren und suchte internationale Berufserfahrung. Ich erinnere mich an jedes noch so kleine Detail aus jener Nacht.
    »Macht dich das nicht verrückt?«,

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