Der stille Sammler
mit den eingelegten Schweinefüßen. Die Urkunden an den Wänden von »Spielzeug für die Kleinen« und der Behindertenolympiade. Fotos von Leuten, die in der Bar feierten. Niemand war nah genug gewesen, um unsere Unterhaltung zu belauschen, mit Ausnahme der wenigen Male, als ich die Stimme erhoben und die anderen Gäste zu uns herübergeschaut hatten.
Was hatte ich gesagt?
Ich blieb auf der Seite von NamUs und klickte auf die Polizeiberichte. Es gab eine Fülle von Informationen, nicht von den Gesetzesbehörden – Kimberly war Jahre vor dem Start der Datenbank verschwunden –, sondern von Cheri, die im Verlauf ihres Studiums eine ganze Menge gelernt hatte.
Die Eltern lebten auf einer Ranch in der Nähe von Durango, Colorado. Kimberly hatte die University of Arizona besucht und dort Anthropologie studiert. Drei Tage nach ihrem Verschwinden hatten die Eltern eine Suchaktion gestartet. Die Datenbank enthielt die Namen sämtlicher Personen, die im Verlauf der Ermittlungen vernommen worden waren, einschließlich ihrer Professoren, Kommilitonen, einer Mitbewohnerin, die sie als Letzte lebend gesehen hatte, und ihrem Freund. Ich ging die Liste durch und las Zusammenfassungen der Vernehmungen. Die Namen waren mir fremd, bis ich zu dem des Freundes kam.
Er hieß Imre Bathory.
Er musste Cheri gekannt haben, wenn er sich mit ihrer Schwester getroffen hatte. Er zeigte Mitgefühl. Er freundete sich mit der ganzen Familie an, und dass er Cheri verführt hatte, war eine Art Rückversicherung gewesen. War ihm NamUs aus Cheris Erzählungen bekannt, und erfuhr er aus ihrem Munde, dass sie sämtliche Informationen auf der Website gespeichert hatte? Es war ein kalkuliertes Risiko, die Bar nicht zu verkaufen und die Stadt nicht zu verlassen. All das zu tun, was ein unschuldiger Mann tun würde. Er konnte seinen Namen nicht ändern, ohne dass irgendjemand Fragen stellte. Doch er konnte ihn ein klein wenig verändern. Genauso, wie ich wusste, dass egeschegedre auf Ungarisch »zum Wohl!« bedeutete, so wusste ich auch, dass Imre die ungarische Form von Emery war.
Es sind diese kleinen Puzzlesteinchen an Informationen, die man sammelt, weil man nie weiß, ob sie nützlich werden können, bis es so weit ist. Woher wusste ich plötzlich mit Bestimmtheit, dass Emery das fehlende Verbindungsglied zwischen allem war?
Es war jene Nacht in Emery’s Cantina gewesen, als ich mich betrunken hatte. Jener Anblick, von dem ich am nächsten Morgen überzeugt gewesen war, mir alles nur eingebildet zu haben. Das Glas mit den eingelegten Schweinefüßen, bedeckt von einer dicken Staubschicht, weil nie jemand Appetit darauf hatte und danach verlangte. Das Glas musste seit vielen Jahren auf dem Tresen gestanden haben.
Ich hätte meiner Fantasie vertrauen sollen, die mir gesagt hatte, dass diese Gebilde im Glas keine Schweinefüße waren. Manchmal ist Fantasie nämlich keine Einbildung.
48.
Erneut über Seitenstraßen und auf der Hut vor Streifenwagen fuhr ich zur Bar und stellte den Wagen auf den Parkplatz. Anstatt eine Entdeckung im Auto zu riskieren, nahm ich meinen Colt 1911 und eine Flasche Wasser und setzte mich damit auf eine Bank am Ende der kleinen Einkaufszeile. Ich tat, als studierte ich eine Werbebroschüre, während ich den Eingang der Bar im Auge behielt.
Kundschaft kam und ging, die meisten davon Cops. Emery würde Coleman nichts tun, solange Polizisten in der Nähe waren. Genauso wenig konnte ich etwas unternehmen. Ich wünschte, ich hätte mir ihre Hilfe sichern können, doch es gab möglicherweise bereits einen Haftbefehl gegen mich, und meine Kollegen von der Polizei würden mir wohl kaum helfen, die Bar zu durchsuchen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten.
Es war früher Abend, kurz nach 17 Uhr, als der kleine Parkplatz vor der Bar sich endlich geleert hatte und keine Kundschaft mehr im Lokal war. Ein Wagen stand noch da. Es war nicht der gleiche, in dem ich Cheri und Emery an dem Tag gesehen hatte, als ich gekommen war, um meinen eigenen Wagen zu holen. Dieses Fahrzeug war ein schwarzer, unauffälliger Subaru. Wahrscheinlich ein Mietwagen. Emery hatte irgendetwas vor.
Ich stieg aus und ging zu dem Subaru. Klopfte einmal fest auf den Kofferraumdeckel. Keine Antwort. Wenn Coleman da drin lag, war sie tot, Game over, Ende. Ich sagte mir, dass sie nicht im Kofferraum lag.
Mit dem Rücken zur Wand umrundete ich die Vorderseite des Wagens. Der Verkehr auf der Straße floss seinen üblichen Weg im verblassenden
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