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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Becky Masterman
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dachte, das wäre alles, doch er griff in das gleiche Fach und zog ein Dutzend Postkarten hervor, die ich wiedererkannte, bevor er auch nur ein Wort gesagt hatte. Er hatte sie in den Monaten und Jahren nach dem Verschwinden seiner Tochter in unregelmäßigen Abständen erhalten. Ein Bild von einem grinsenden Alligator in Florida, ein einsamer Trompetenspieler in New Orleans, »Ein Gruß aus den Carlsbad Caverns«, eine Nahaufnahme von einem Skorpion. Ich erinnerte mich an jede dieser Karten. Und auf allen hatte die gleiche Botschaft gestanden: »Wir amüsieren uns prächtig, mein neuer Freund und ich. Ich wünschte, du wärst bei uns. Alles Liebe, Jessica.«
    Ich dachte an die viele Zeit, die wir mit Laboranalysen verschwendet hatten. Mit der Suche nach Fingerabdrücken und DNA -Spuren auf den Briefmarken, die alle selbstklebend gewesen waren. Wie wir die Postämter abgeklappert und die Mitarbeiter vor Ort befragt hatten; wie wir auf der Jagd nach Hinweisen zu den Sehenswürdigkeiten auf den Postkarten gereist waren. Text und Anschrift waren jedes Mal auf einem Computer ausgedruckt und mit Tesafilm auf die Rückseite der Karte geklebt. Natürlich hatten wir beide Seiten des Klebefilms auf Abdrücke und DNA überprüft, leider vergeblich.
    Ich habe in meiner Karriere eine Reihe widerlicher Arschlöcher kennengelernt, aber wer immer diese Postkarten nach Jessicas Tod abgeschickt hatte, war das abscheulichste Monstrum, das mir je untergekommen ist. Es hatte ihm nicht gereicht, Jessica zu foltern, zu vergewaltigen und zu ermorden; er verlängerte das Leid und den Schrecken, indem er Jessicas Familie verhöhnte. Vielleicht, weil sie beim FBI gewesen war.
    Ich dachte an Lynch, der diese Verbrechen gestanden hatte. Ich konnte ihn mir gut als Täter vorstellen, und mein Hass auf ihn brannte heißer als je zuvor.
    »Kriegen Sie immer noch welche?«, fragte ich, während ich die Karten in der Hand hielt, ohne mir die Mühe zu machen, sie einzeln anzuschauen.
    »Ich weiß, ich hätte die Karten gleich ans FBI weiterleiten sollen, Brigid. Aber sie haben Ihnen nicht geholfen, oder?«
    »Nein. Hat nichts gebracht.«
    »Wissen Sie was? Nachdem Elena tot war und es niemand mehr gab, um den ich hätte weinen können, habe ich sogar irgendwie auf die Karten gewartet.« Zach sah mich mit einem Ausdruck an, als wollte er von mir hören, dass ich verstehen könne, was in ihm vorgegangen sei, also sagte ich es ihm. Das ermutigte ihn, weiterzureden. »Auf diese Weise habe ich mir nach und nach eingeredet, die Karten könnten tatsächlich von Jessica sein.«
    »Wann haben Sie die letzte Karte bekommen?«, fragte ich.
    Er blätterte den Stapel durch, zog eine hervor und zeigte mir den Stempel. »Das hier ist die letzte. Sie kam vor zwei Monaten.«
    Dem Datum zufolge hatte Lynch die Postkarte mehr als einen Monat vor seiner Verhaftung abgeschickt.
    Zach holte mich aus meinen Gedanken. »Ich mag Sie sehr gern, Brigid«, sagte er.
    »Ich mag Sie auch, Zach«, antwortete ich. Es war einer jener spontanen Augenblicke, wo der eine es sagt und der andere ebenfalls, und keiner weiß so recht, was es eigentlich bedeutet. Aber es kann nicht schaden.
    »Und jetzt verschwinden Sie von hier und lassen mich allein, okay?«, sagte er energisch, während er die Hand nach den Postkarten ausstreckte.
    »Okay«, sagte ich. Ich versprach, mich am nächsten Morgen bei ihm zu melden und mich um den Papierkram zu kümmern, damit Jessicas Leichnam bald freigegeben wurde. Dann fragte ich ihn, ob ich die Postkarten eine Zeit lang behalten könne. Nachdem er Jessicas Leiche gesehen hatte, waren ihm die Karten anscheinend nicht mehr ganz so wichtig, und er willigte ein. Ich steckte die Karten so behutsam und respektvoll in meine Tragetasche, als wären sie tatsächlich von Jessica.
    Ich wäre lieber nicht allein gewesen, aber ich konnte Carlo jetzt noch nicht gegenübertreten und so tun, als wäre nichts gewesen. Deshalb rief ich auf dem Weg aus dem Hotel Sigmund auf seinem Handy an, um ihn auf einen Drink zu treffen. Er würde verstehen, wie ich mich nach dem Wiedersehen mit Zach und Jessica fühlte, und ich konnte bei der Gelegenheit gleich nachhorchen, wie es mit den Untersuchungen über Lynchs Zurechnungsfähigkeit voranging.
    »Morrison sagt, die Tests wären gar nicht nötig«, antwortete Sigmund auf meine diesbezügliche Frage. »Ein Verdacht auf Unzurechnungsfähigkeit ist nicht mal ansatzweise gegeben. Falls irgendwelche Beurteilungen erforderlich werden, ruft

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