Der stille Sammler
des Gerichtsmediziners reden zu wollen. Stattdessen versicherte er mir, dass alles in Ordnung sei und dass er es vorzöge, wenn ich ihn allein ließe. Ich glaubte ihm zwar nicht, aber was hätte ich tun sollen? Er war ein erwachsener Mann. »Sie hätten wirklich nicht kommen sollen«, sagte ich erneut. »Sie haben sich gut gehalten, aber warum haben Sie sich das angetan?«
»Ich musste herkommen, verstehen Sie doch. Ich musste sie sehen. Der Sache auf den Grund gehen.«
Er brauchte mir nicht zu erklären, was er damit meinte. Ich verstand ihn nur zu gut, wusste aber auch, dass ich ihm nicht dorthin folgen konnte. »Ich treffe alle Vorbereitungen für die Freigabe von Jessicas Leichnam. Wollen Sie sie mit nach Michigan nehmen?«
»Nein. Da war sie nie zu Hause. Ich nehme an, das war eher diese Gegend hier. Sie sollte hier begraben werden.«
Ich hätte ihm sagen können, dass mein Mann ein ehemaliger katholischer Priester sei und ihm bei einer Gedenkfeier helfen könne, doch weder Zach noch ich glaubten an Gott, schon seit vielen Jahren nicht mehr. »Wann fliegen Sie zurück?«
»Ich habe noch kein Rückflugticket.« Seine knochigen Schultern waren genauso gebeugt wie bei seiner Ankunft, doch in seinen Augen war ein Funkeln, das mich ein wenig beunruhigte. »Lassen Sie mich einfach noch ein Weilchen hier ausruhen, Brigid, okay?«, bat er, was meine Nervosität noch mehr ansteigen ließ.
»Sie machen keine Dummheiten, Zach, nicht wahr?«
»Mich umbringen, zum Beispiel? Womit denn? Sie haben mich im Erdgeschoss einquartiert, und zum Essbesteck gehört ein stumpfes Messer.« Er grinste beinahe. »Wir haben zusammen eine Menge durchgemacht, stimmt’s? Sie kennen mich besser als irgendjemand sonst.«
Da hatte er recht. Ich kannte Zach lange genug, um ihm nicht mit lahmen Sprüchen zu kommen. Stattdessen fragte ich beinahe genauso dümmlich: »Werden Sie schlafen?«
»Nein.« Jetzt grinste er wirklich, als wäre die Frage in den vergangenen sieben Jahren bedeutungslos gewesen und als wäre sie heute geradezu absurd. Er erhob sich vom Bett und ging zum Fenster, um den Vorhang beiseitezuschieben. Dann blickte er nach draußen auf den Parkplatz. Als er redete, drehte er sich nicht zu mir um.
»Brigid?«
»Ja?«
»Lynch hat einen Deal gemacht, stimmt’s?«
Es war das Einzige, was ich ihm nicht erzählt hatte. Ich hätte wissen müssen, dass er es merken würde. Ich antwortete nicht.
»Ich will den Mann sehen.«
»Nein, Zach.« Diesmal meinte ich es ernst. »Ich verspreche Ihnen, ich rufe Sie an, sobald ich weiß, wann das Urteil verkündet wird. Sie können Ihre Erklärung im Gerichtssaal vorlesen.«
Er spürte, dass ich nicht zu erweichen war, und drehte sich zu mir um, als hätte er bis zu diesem Augenblick nichts außer seiner Tochter gesehen. »Es ist lange her, aber Sie sehen gut aus. Ihre Traurigkeit ist unterschwellig immer noch da, aber die neue Beziehung hat Ihnen gutgetan. Und das Wüstenklima hat Ihnen auch nicht geschadet.«
»Kann sein. Aber die Kosten für Feuchtigkeitscreme treiben mich in den Ruin«, witzelte ich, wie ich es häufig tue, wenn ich verlegen bin.
»Sie müssen jetzt gehen«, sagte Zach.
»Nein, muss ich nicht. Wirklich nicht.« Ich ging zu dem Tablett auf dem Tisch. »Hier, ich habe Kaffee organisiert. Kommen Sie, ich schenke Ihnen eine Tasse ein. Sie nehmen ihn schwarz mit Süßstoff, nicht wahr?«
Er schüttelte den Kopf. Meine Fürsorglichkeit schien ihn zu nerven. »Okay«, sagte er schließlich. »Wenn Sie nicht gehen wollen, dann zeige ich Ihnen etwas.«
Er wankte zum Bett – mein Gott, er war erst dreiundfünfzig und bewegte sich wie ein alter Mann! –, wo er seine schwarze Reisetasche hingeworfen hatte. Er öffnete den Reißverschluss einer Seitentasche, nahm ein Foto hervor und reichte es mir. Es zeigte Jessicas zierliche Gestalt neben einem bunten Gebilde, das zwei Drittel der Fläche einnahm. »Es ist das letzte Foto, das ich von ihr habe«, sagte Zach. »Aufgenommen beim Heißluftballonfestival in Albuquerque. Es ist nicht das beste Foto, aber es ist das letzte von ihr.«
Ich betrachtete die Aufnahme im Postkartenformat, ohne sie ihm aus der Hand zu nehmen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es heißt, Frauen wüssten immer, was sie in solchen Augenblicken sagen müssen, aber so eine Frau bin ich nie gewesen. Nach ein paar Sekunden schien er zu begreifen, dass ich weiterhin schweigen würde, und lehnte das Foto gegen die Nachttischlampe neben dem Bett. Ich
Weitere Kostenlose Bücher