Der stille Sammler
hielt die Handflächen hoch wie zwei Waagschalen. »In einem Glas Wodka, in einem anderen Eis«, sagte ich. Normalerweise sind zwei alkoholfreie Biere das Maximum in einer Cop-Bar – wahrscheinlich war das der Grund dafür, dass die anderen Gäste erstaunt die Köpfe hoben, als sie meine Bestellung hörten. Ich ignorierte ihre Blicke und sah mich in der Kneipe um, betrachtete die Urkunden der Spendenorganisation »Spielzeug für die Kleinen« und der Behindertenolympiade an der gegenüberliegenden Wand und die ungewöhnliche Menge an Fotos von Gästen in feuchtfröhlicher Runde. Es tat gut, von Zach weg zu sein und jemanden zu treffen, mit dem man sich von Cop zu Cop unterhalten konnte.
Laura Coleman erschien, bevor ich meinen Drink geleert hatte – keine Chance, einen zweiten zu bestellen, ohne dass sie es mitbekommen hätte. Sie setzte sich an meinen Tisch, stellte ihre schwarze Tasche gegen ein Stuhlbein und blickte fragend auf mein Glas. Mir war nicht danach zumute, mich zu rechtfertigen.
Schließlich schaute sie sich um, musterte die Cops im Lokal und schien mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden zu sein. Entweder zu wenig Klasse oder zu sehr Kneipe für ihren Geschmack.
»Warum haben Sie das Betrugsdezernat verlassen und sind zur Mordkommission gewechselt?«, fragte ich. »Normalerweise wählen die Kollegen den umgekehrten Weg.«
»Ich hatte das Gefühl, dass es das Richtige für mich ist«, antwortete sie, zog einen Mundwinkel hoch und zuckte die Schultern. Für jemanden, der so sehr darauf bedacht gewesen war, sich mit mir zu treffen, erschien sie mir plötzlich seltsam ausweichend. Ihr Blick verharrte, wenn er in die Nähe meiner Augen kam, und huschte dann zur Seite. Sie strich sich mit den Fingern durch die kurzen Locken und berührte ein hellbraunes Muttermal an der rechten Schläfe, als betrachte sie den kleinen Fleck als ihren einzigen Makel, den sie zu verstecken versuchte.
Die Kellnerin kam zurück. »Wissen Sie schon, was Sie sonst noch wünschen?«, fragte sie, als gäbe es eine gesetzliche Bestimmung, wie oft sie an unseren Tisch kommen musste. Laura Coleman und ich entschieden uns für den üblichen Tacosalat. Als Coleman ihre Speisekarte zuklappte, fiel mir der Name auf der Vorderseite auf. »Emery’s Cantina«, las ich laut. »Soll das ein Paradoxon sein?«
»Wie meinen Sie das?«, fragte die Kellnerin.
»Das Wort Cantina in Verbindung mit dem Namen. Emery klingt ungefähr so mexikanisch wie … wie Moses oder Abraham.« Offensichtlich beflügelte der Wodka meine Kreativität.
Ich versuche hier nicht, den üblichen schablonenhaften Schwarzendialekt in der Antwort der Frau wiederzugeben, denn sie hatte keinen. Kein Schwester , kein U-oh , kein Mädchen . »Das Mexikanische ist ein verbreitetes Leitmotiv im Südwesten«, sagte sie auf eine plötzlich gar nicht mehr freche Weise, während sie mit der Hand zu dem Typen hinter der Theke deutete. »Das ist Emery, der Besitzer. Er ist Ungar. Ich bin Cheri. Ich bin nicht aus Ungarn.«
Besagter Ungar lehnte über dem Tresen und redete tröstend auf einen eindeutig dienstfreien Cop ein, der die Alkoholfrei-Bier-Regel genauso wenig befolgte wie ich. »Ein Taxi …«, hörte ich ihn sagen.
Ich blickte die Kellnerin an, hob mein Glas und klimperte mit dem verbliebenen Eis. »Für mich noch mal dasselbe, bitte.«
»Haben Sie Wein, Cheri?«, fragte Agent Coleman.
»Der Hausburgunder ist ganz passabel, wenn man das erste Glas getrunken hat«, antwortete Cheri.
»Dann bitte Eistee.«
»Ach, kommen Sie«, sagte ich. »Strengen Sie sich ein bisschen an.«
»Also schön. Ein alkoholfreies Bier. Egal welche Marke.«
Cheri ging, um unsere Bestellung aufzugeben.
» › Leitmotiv ‹ ? Wo hat sie das denn her?«, fragte ich – nicht, weil es mich wirklich interessierte, sondern weil ich das unbehagliche Schweigen überbrücken wollte, das Coleman mit dem Zurechtrücken ihrer Jacke über der Stuhllehne und dem Auswischen der Gläser mit ihrer Serviette nur ein paar Augenblicke ausfüllen konnte.
»In Tucson hat jeder einen akademischen Abschluss oder arbeitet an einem Buch«, sagte sie und deutete zum Ende des Tresens, wo Cheri nun saß, nachdem sie Coleman das Bier und mir den zweiten Wodka gebracht hatte. Sie las in einem Lehrbuch über Kriminalistik, das aufgeschlagen an einem der Gläser mit eingelegten Schweinefüßen lehnte, die ohnehin nie jemand zu essen schien.
»Ich weiß«, sagte ich. »Mir ging es um den Unterschied zwischen ›
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