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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Becky Masterman
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Ersatztastatur aufbewahrte, zitterten meine Hände nicht mehr. Ich zog eine längliche flache Schachtel hinter dem Bildschirm hervor, öffnete den Deckel und nahm die Smith & Wesson 27 FBI Special aus dem Schaumstoffpolster.
    Die Munition befand sich in einer Schublade auf der rechten Schreibtischseite, in der ich auch meine Stifte und Visitenkarten aufbewahrte und was man sonst noch so braucht. Die Schachtel steckte ganz hinten in der Lade und hatte ursprünglich Büroklammern enthalten. Eine nach der anderen nahm ich sechs Patronen heraus und lud sie in die Trommel. Dann legte ich die Waffe auf den Schreibtisch.
    Jetzt hatte ich alles unter Kontrolle.

15.
    Dachte ich zumindest, bis ein Klopfen an der Tür mich zusammenzucken ließ. Bis heute hatte es bei uns nie geschlossene Türen und Anklopfen gegeben. Und kein Erschrecken.
    »Nicht jetzt«, sagte ich laut genug, dass Carlo mich durch die Tür hindurch hören konnte. »Schatz«, fügte ich rasch hinzu.
    »Jemand ruft auf deinem Handy an«, sagte Carlo.
    Gott sei Dank. Alles ganz normal. Ich erhob mich, ging zur Tür, öffnete und lächelte ihn an.
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Ich war in Gedanken.«
    Es tat mir wirklich leid, weil sich in diesem Augenblick etwas Unsichtbares zwischen Carlo und mich geschoben hatte, undurchdringlicher als eine Kevlar-Weste. Eine Lüge, groß genug, um uns zu trennen. Genau das hatte ich so verzweifelt zu verhindern versucht, dafür hatte ich alles riskiert. Nun geschah es trotzdem, und es gab mir einen Stich ins Herz.
    Carlo schien nichts davon zu bemerken. »Hast du über diese Sache nachgedacht, in die du verwickelt bist?«
    »Ja.«
    Als er mir das Handy reichte, fiel sein Blick über meine Schulter und verharrte an der Stelle, wo ich die Smith & Wesson auf dem Schreibtisch hatte liegen lassen. Wir taten beide so, als wäre die Waffe gar nicht da.
    Ich lächelte Carlo beschwichtigend an, und er wandte sich zum Gehen, damit ich telefonieren konnte.
    »Agent Quinn?«, fragte die Stimme.
    »Hallo, Agent Coleman.«
    »Und? Was sagen Sie? Haben Sie das Video gesehen?« Sie klang enttäuscht, als wüsste sie bereits die Antwort.
    »Nein, noch nicht. Ich war zu sehr mit privaten Dingen beschäftigt.«
    »Ich hatte überlegt, morgen nach Benson zu fahren und Lynchs Vater zu besuchen. Wir haben es bisher versäumt, mit ihm zu reden, und er wohnt ganz in der Nähe.«
    »Ist das nicht verfrüht?«, erwiderte ich. »Sie sollten zuerst einen Vernehmungsplan aufstellen.«
    »Meinen Sie, das hätte ich nicht bereits getan?«
    Natürlich. In meiner Verwirrung hatte ich ganz vergessen, dass ich es mit Agent Hundertfünfzigprozent Coleman zu tun hatte. »Schön, dann fahren Sie.«
    »Kommen Sie doch mit.«
    Ich hatte schon ein Nein auf der Zunge, dachte dann aber an den zeitlichen Zusammenhang: Nur zwei Tage nachdem man mich wieder zum Route-66-Fall hinzugezogen hatte, war ich im Flussbett von dem Unbekannten angegriffen worden. Es war vielleicht gar keine schlechte Idee, Lynchs Vater zu besuchen. Ich konnte jeden noch so kleinen Hinweis, jede noch so unbedeutende Information gebrauchen.
    »Okay«, sagte ich, »warum nicht? Wann wollen Sie fahren?«
    »Kommen Sie um zehn im Büro vorbei. Es liegt am Weg. Wir fahren von da aus.«
    Ich drückte die AUS -Taste, saß eine Zeit lang schweigend da und überlegte, ob ich die Waffe verstecken oder griffbereit halten sollte. Schließlich deckte ich sie mit dem braunen Umschlag zu. Dann warf ich den Rucksack zusammen mit den anderen Sachen in die Waschmaschine und nahm mir vor, sie noch einmal zu waschen, doch für den Augenblick schlug die Erschöpfung über mir zusammen.
    Ich verbrachte den Rest des Tages damit, mich so normal wie möglich zu geben, während ich in Wahrheit an einem Plan schmiedete, herauszufinden, wer meinen Tod wollte.
    »Weißt du was?«, sagte ich am späten Nachmittag in der Küche zu Carlo, als er an einem Glas Chianti nippte und dazu ein Stück geräucherten Gouda aß. »Ich hätte Lust auf einen Drink. Der Sturz hat mich mehr mitgenommen, als ich mir eingestehen will.«
    »Soll ich dir einen Martini mixen?« Carlo macht einen erstklassigen Wodka Martini.
    »Gute Idee.«
    Ich schaute Carlo zu, wie er mit dem Shaker hantierte, während ich überlegte, dass es zum ersten Mal in meinem Leben jemanden gab, der mir nahe genug stand, um ebenfalls in Gefahr zu schweben. Ich ging mit meinem Martini nach draußen in den Garten, vorgeblich, um mich zu entspannen, doch in Wirklichkeit, um

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