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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Becky Masterman
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die Grenzen unseres Grundstücks in Augenschein zu nehmen für den Fall eines Angriffs. Es gab keine Häuser unmittelbar hinter unserem. Die Nachbarn zur Rechten waren Zugvögel – sie würden erst im Spätherbst wieder hierherkommen, wenn es kühler wurde. Zwischen unseren Grundstücken verlief eine Mauer, die leicht zu überklettern war. Oder der Angreifer entriegelte einfach das Tor, das in unseren Garten führte, obwohl der rostige Riegel genug Lärm machen würde, um die Möpse in Alarmbereitschaft zu versetzen. Sie waren mir nach draußen gefolgt und schnüffelten bei den Bougainvilleen nach Eidechsen. Du solltest dir einen anständigen Hund zulegen, überlegte ich. Einen Schäferhund, oder wenigstens einen Jagdhund. Die Möpse waren zu verspielt.
    Ich ging zu der lebensgroßen Statue des heiligen Franziskus und überlegte, ob Jane sie vor oder nach den beiden Hunden für Carlo gekauft hatte. Schließlich beruhigte der Drink meine Nerven ein wenig, und ich war imstande, ruhiger über meine Erfahrung vom Vormittag nachzudenken. Es war in etwa so, als würde man einen Film Bild für Bild ansehen. Alte Frauen. Kondom an einer Schnur. Blut im Van. Gebrochene Knochen. Andere Leichen. Ein Foto von mir. Nachrichtenclips auf DVD . Barbie-Frühstücksdose.
    Nichts.
    Dann war Essenszeit. Wir aßen gemütlich Sandwichs mit Hühnchen und Curry, die Carlo für uns gemacht hatte. Die Möpse saßen Gewehr bei Fuß und warteten darauf, dass die leeren Teller nach der Mahlzeit auf den Boden gestellt wurden, damit sie die Reste vom Hühnchen auflecken konnten.
    In den Nachrichten kein Wort über einen Leichnam außerhalb der Stadt, keine Tickerschlagzeile am unteren Bildschirmrand: Ehemalige FBI-Agentin in Zusammenhang mit Mord in Tucson, Arizona, gesucht .
    Ich hatte gemischte Gefühle. Falls der Leichnam gefunden wurde, konnte er identifiziert werden. Und wenn ich erst wusste, wer der Tote war, konnte ich möglicherweise herausfinden, wer ihn geschickt hatte. Wenigstens hatte ich dann eine Fährte, die ich verfolgen konnte. Auf der anderen Seite würden Insekten und Verwesung mehr und mehr Spuren meiner Beteiligung zerstören, je länger der Tote unentdeckt blieb.
    Die Zeit verging schleppend. Am Abend läutete das Telefon in der Küche zweimal. Beim ersten Mal war es ein Verkäufer, der uns reduzierte Gebühren für Kreditkartenüberweisungen anbot, beim zweiten Mal war es Carlos Schwester aus Ann Arbor. Beide Male war ich sicher gewesen, dass es Max war, der mich sprechen wollte, weil sie die Leiche gefunden hatten. Am Ende zog ich das Telefonkabel raus und schaltete mein Handy ab, damit ich ein bisschen Ruhe fand.
    Aber daraus wurde nichts. Als wir ins Bett gingen, spukten mir die Ereignisse immer noch durch den Kopf. Carlo spürte, dass mich irgendetwas beschäftigte. Als ich ihn küsste, fiel mir auf, dass wir unseren Blicken gegenseitig auswichen, wie wir es nie zuvor getan hatten. Als hätte ich Angst, in meinen Augen könnte sich etwas von dem widerspiegeln, was ich an jenem Tag gesehen hatte, und als spürte Carlo meine Verschlossenheit. Selbst jetzt, trotz meiner Vorsicht, plagte mich die Angst, dass Carlo die Frau entdeckte, die ich wirklich war, so wie Paul damals.
    Carlo schaltete den Deckenventilator ein und knipste das Licht aus. Kaum war es dunkel, schweiften meine Gedanken rastlos umher. Hätte ich nicht versucht, den Vorfall unten im Flussbett zu vertuschen – und hätte ich Max erzählt, was passiert war –, hätte er den Umschlag mit dem Foto und der DVD gefunden, der bewies, dass ich ein Opfer war. Dann hätte ich ihn auf meiner Seite gehabt. Aber ich konnte die letzten zehn Stunden nicht mehr rückgängig machen.
    Lange nachdem Carlos Atem jenen ruhigen Rhythmus angenommen hatte, der mir verriet, dass er schlief, streckte ich die Hand aus und streichelte seinen Arm, seine Schulter, seine Hand unter dem Laken. Als er davon nicht wach wurde, legte ich die Finger langsam um seinen Daumen, während mir der beklemmende Gedanke kam, Carlo könne verschwinden, sich in Luft auflösen, sodass ich plötzlich mit nichts als einem Stück Bettlaken in den Händen dalag.
    Wie nennt man das? Besessenheit?
    Ja, ich war von Carlo besessen.
    Endlich schlief ich ein, begleitet vom Lärm eines Rudels Kojoten irgendwo in den Arroyos unterhalb unseres Grundstücks. Es war ein Chor aus Bellen und Heulen, Jaulen und Wimmern. Ein schauerliches Geräusch. Carlo hatte mir einmal erzählt, dass Kojoten diese Laute von sich geben,

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