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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Becky Masterman
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gegenprüfen.
    »Erinnerst du dich an die Postkarten?«, fragte ich ihn.
    »Selbstverständlich.«
    »Zach hat immer noch Karten bekommen. Er hat mir ein halbes Dutzend neue gezeigt, die er uns nicht mehr geschickt hat, weil sie uns ohnehin nicht weitergebracht haben. Er sagte, die Karten hätten ihm Trost gespendet, weil er sich eingeredet hat, sie wären tatsächlich von Jessica.«
    Für den Bruchteil einer Sekunde verengten sich Sigmunds Augen, und ein Ausdruck der Abscheu huschte über sein Gesicht. Es war so subtil, dass es außer mir wahrscheinlich kein Mensch auf der Welt bemerkt hätte. Sigmund wandte den Kopf zur Seite. »Wir müssen dieses Dreckschwein finden«, murmelte er in Richtung seines Bürofensters. Er benutzte nur ganz selten Schimpfworte. Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle und blickte gefasst in die Kamera. »Der Kerl muss noch einmal verhört werden, unter der Maßgabe, dass er ein falsches Geständnis abgelegt hat. Wir müssen wissen, wie er an die Informationen gekommen ist.«
    Sigmund hätte die Möglichkeit eines Falschgeständnisses gar nicht rechtfertigen müssen. Mehr als dreißig Personen hatten den berüchtigten Black-Dahlia-Mord in L.A. gestanden, und mehr als fünfhundert hatten behauptet, auf irgendeine Weise darin verwickelt zu sein. Einige der falschen Geständnisse waren unter dem Druck erzwungen worden, den Fall zu lösen, doch es gab auch andere, freiwillige.
    Und es gab zahlreiche weitere Fälle, in denen psychische Störungen oder einfach nur die Gier nach Ruhm und Bekanntheit Menschen dazu getrieben hatten, Verbrechen zu gestehen, die sie gar nicht begangen hatten. Henry Lee Lucas beispielsweise hatte sechshundert Morde gestanden, obwohl es lediglich Beweise für drei Morde gab. Oder John Mark Karr, eine Transfrau, die gestanden hatte, die sechsjährige JonBenét Ramsey ermordet zu haben, obwohl Karrs DNA nicht mit der am Tatort übereinstimmte und es keinerlei Hinweis gegeben hatte, dass Karr je am Schauplatz der Mordes in Colorado gewesen war.
    Robert Charles Browne.
    Laverne Pavlinac.
    Die beiden Letzteren waren überzeugend genug gewesen, dass man sie ins Gefängnis gesteckt hatte – bis die wahren Täter gefunden worden waren.
    Im Fall von Floyd Lynch war die Sache noch einfacher. Er war geradezu besessen von den Route-66-Morden, und angesichts scheinbar überwältigender Beweise für seine Schuld und bedroht von der Todesstrafe war ihm ein umfassendes Geständnis als die einfachste Möglichkeit erschienen, sein Leben zu retten.
    Nur dass Lynch gar nicht der Route-66-Mörder war. Er hatte vielleicht die Frau ermordet, die wir in seinem Lastwagen gefunden hatten, oder er hatte sie bereits tot aufgefunden, wie er in seiner ersten Vernehmung zu Protokoll gegeben hatte. Das war vielleicht der Anfang seiner Faszination für die Route-66-Morde gewesen. In die Enge getrieben, hatte er beschlossen, die Verantwortung für alle Morde zu übernehmen.
    Et voilà – der Idiot geht ins Gefängnis, und das Arschloch bleibt auf freiem Fuß.
    Was aber nicht die Frage beantwortete, wie Lynch von den Details erfahren hatte, die gar nicht an die Öffentlichkeit gelangt waren. Das machte diesen Fall so anders. Abgesehen von der extrem unwahrscheinlichen Möglichkeit, dass ein Insider diese Details weitergegeben hatte und sie auf irgendeinem verschlungenen Weg zu Lynch gelangt waren, konnte das eigentlich nur eins bedeuten.
    Lynch kannte den Killer.
    »Seit dem letzten Mord sind sieben Jahre vergangen«, sagte ich in der Hoffnung, dass Sigmund mein Argument aufnahm.
    »Und seither wurden keine Morde begangen, von denen wir wüssten«, sagte er. »Vielleicht hat er seinen Modus Operandi geändert und den Schauplatz verlegt, und vielleicht plant er in diesem Moment schon seine nächste Tat. Oder er hat eine vorübergehende Pause eingelegt wie der Grim Sleeper.«
    Der Grim Sleeper, ein kalifornischer Serienkiller, hatte seinen Namen erhalten, weil er eine Hälfte seiner Opfer Mitte der Achtzigerjahre ermordet und dann vierzehn Jahre lang pausiert hatte, um erst 2002 wieder zuzuschlagen.
    Ich stöhnte auf.
    »Tu nicht so, als hättest du nicht längst daran gedacht«, sagte Sig. »Abgesehen davon ist der Route-66-Killer extrem kontrolliert. Er hat jedes Mal genau ein Jahr lang gewartet, bevor er erneut zuschlug. Das ist ein weiterer Punkt, der gegen Lynch als Täter spricht. Ich sehe nicht, dass Floyd Lynch eine auch nur halbwegs funktionierende Impulskontrolle besitzt.« Sigmund nahm ein

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