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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Becky Masterman
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teilte, strahlte sie bis über beide Ohren.
    »Also halten Sie beide ihn für verdächtig?«, fragte sie.
    »Ja«, antwortete ich und erzählte ihr von Sigs Vorschlag, Lynch erneut zu verhören – unter der Maßgabe, dass sein Geständnis falsch war. »Wir brauchen Beweise«, sagte ich, »und die haben wir nicht. Wir müssen die Lücken in seinem Geständnis aufdecken.«
    Sichtlich zufrieden, dass sie mich und Sigmund vorerst auf ihrer Seite hatte, verbrachte Coleman den Rest der Fahrt damit, mich über Wilbur und Michael Lynch zu informieren, Floyds Vater und Bruder.
    »Wilbur Lynch arbeitet?«, fragte ich.
    »Er ist eingeschränkt erwerbsfähig.«
    »Und sein Sohn Michael wohnt zu Hause?«
    »Ganz recht.«
    »Arbeitet er?«
    »Er hatte eine Ausbildung als Sanitäter angefangen. Keine Ahnung, ob er sie abgeschlossen hat.«
    »Und die Mutter?«
    »Unbekannt.«
    »Haben Sie uns angekündigt?«
    »Ja.«
    »Gab es Widerstand?«
    »Nicht der Rede wert.«
    Und so weiter. Ich war mit meinen Gedanken halb bei Lynch und halb bei dem Toten im Flussbett und grübelte darüber nach, ob unser Besuch eine Verbindung zwischen beidem herstellen würde.
    Coleman bog nach rechts auf den Palo Verde Drive und in eine Wohnwagensiedlung. Auf meine Empfehlung hin parkte sie ein wenig abseits. Dann gingen wir zu Fuß zu dem Haus, in dem Floyd Lynch seine Kindheit verbracht hatte. Überall klebte Dreck: am Dach des Trailers, an den Fenstern, an einem Stapel Holzkisten, die sich auf einer Seite bis in Brusthöhe stapelten, an den Rädern einer Enduro mit riesigen Ballonreifen, die draußen vor der Tür parkte, und an dem halb zerfetzten Sonnenschirm mit den verblichenen blauen und weißen Streifen, der schräg über einem rostigen Terrassentisch auf der anderen Seite thronte.
    Wilbur Lynch trat mit seiner Schrotflinte in der Armbeuge durch die Tür. Er bat uns nicht herein. Er war groß und schlank wie ein Cowboy, und sein Körper sah ganz und gar nicht nach den dreiundsechzig Jahren aus, die er Laura Colemans Worten zufolge alt war. Sein Gesicht allerdings war gezeichnet von einem Leben in der Wüste und von unzähligen Camels, von denen auch jetzt eine in einer Kerbe seiner Unterlippe hing, die aussah wie das Ergebnis eines Versuchs in Do-it-yourself-Chirurgie.
    Laura Coleman zeigte ihr Abzeichen, und ich legte die Hand auf meine Umhängetasche, als wollte ich ebenfalls meine Marke hervorholen. »Ich bin Special Agent Laura Coleman«, sagte sie. »Und das ist …«
    Ich wollte sie schon unterbrechen, doch Lynch kam mir zuvor, sodass meine Tarnung erhalten blieb.
    »Sie sehen nicht nach FBI aus«, sagte er, was seine Schrotflinte erklärte.
    Ich war anderer Meinung – Laura Coleman sah definitiv nach FBI aus. Sie bedachte mich mit einem knappen ironischen Blick, der »Ich hätte doch den schwarzen Anzug anziehen sollen« besagte.
    »Ich habe mich gefragt, wie lange es dauert, bis Sie herkommen«, sagte er und setzte sich auf einen rostigen Gartenstuhl unter dem rostigen Schirm. Er deutete auf die beiden anderen Stühle, und wir nahmen vorsichtig Platz. »Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass Sie mich gleich nach seiner Verhaftung dazwischennehmen. Ich dachte, ich komme in die Nachrichten.« Er redete lässig, doch seine Blicke waren konzentriert, als wollte er sicher sein, dass wir merkten, wie egal ihm die Geschichte war. Er drückte seine Zigarette auf dem Tisch aus und wischte den Stummel mitsamt Asche mit dem Handrücken beiseite.
    »Die Sache mit Ihrem Sohn tut mir leid«, sagte Coleman, ohne darauf einzugehen, welchen Anteil sie an seiner Überführung gehabt hatte.
    Lynch lächelte und zog eine Zigarettenschachtel aus der Hemdentasche. »Ach ja? Dann gibt es wenigstens einen Menschen, dem es leidtut.« Er klopfte gegen die Schachtel, sodass ein paar Zigaretten herausglitten, und bot uns welche an. Seine übertrieben lässige Geste verriet mir, wie sehr er sich darauf konzentrierte, dass seine Hände nicht zitterten. Wir lehnten ab, während er sich eine weitere Camel zwischen die Lippen schob.
    »Dürfen wir daraus schließen, dass Sie kein gutes Verhältnis zu Ihrem Sohn Floyd haben?«, fragte Coleman.
    »Dürfen Sie.«
    »Aber er ist hier aufgewachsen, nicht wahr?«, fragte ich in die entstehende Pause hinein. »Er ist hier zur Schule gegangen und hatte hier auch seine Freunde?«
    »Ich nehm’s an. Er war immer viel allein. Hat eine Menge gelesen. War ’ne richtige Leseratte.« Lynch bleckte die Zähne, als wäre Lesen der

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