Der stille Sammler
wissen?
Lynch: Dass ich genauso bin wie alle anderen.
Coleman: Warum muss ich das wissen?
Lynch: Sex und Tod zusammen. Jeder mag das. Wie Makkaroni und Käse.
Coleman (zögert): Das ist wohl nicht ganz das …
Lynch (unterbricht sie): Sie mögen Vampirserien, hab ich recht? Natürlich hab ich recht!
Coleman (stockt): Nein, offen gestanden, ich …
Dieser Teil des Verhörs weckte mein Unbehagen. Laura Coleman wirkte unsicher. Sie verlor die Kontrolle.
Lynch: Ich hab mal einen Film gesehen, wo Zombie-Girls nackt in ’nem Laden rumtanzten und dann die Typen gefressen haben. Jede Wette, dass der Film ’ne Menge Kohle eingespielt hat.
Coleman: Lynch, kommen wir zurück zum …
Lynch (schließt die Augen und legt den Kopf in den Nacken. Sein Atem geht erkennbar schneller. Beinahe kann ich ihn hören. Er spricht leise und schiebt bei jedem Wort die Oberlippe vor): Die Kerle stehen Schlange, um sich zerreißen zu lassen … weil sie alle Sex mit toten Girls haben wollen …
Coleman: Hören Sie auf, Lynch. Sofort.
Max (tritt in den Aufnahmebereich, nähert sich Lynch): Lynch!
Coleman: Danke, es ist okay, Deputy Coyote. Lynch, sehen Sie mich an!
Lynch (die Augen immer noch geschlossen, doch mit flatternden Lidern und rauer Stimme): Aber Sie … Sie glauben, ich wäre anders … Sie glauben, ich wär ’n Irrer. Sie glauben, ich hätte ’ne Art Freakshow abgezogen …
Coleman: Sehen Sie mich an, Lynch.
Lynch: Nein. (Er schlägt die Augen auf und starrt sie an. Sein Blick ist glasig, sein Gesicht gerötet.) Nein, Sie sehen mich an. (Er spreizt die Beine und zeigt der Kamera einen feuchten Fleck im Schritt, in dunklerem Orange als der Rest. Max tritt in den Aufnahmebereich. In den nächsten Sekunden reden alle durcheinander.)
Max: Sie widerwärtiges Arschloch!
Lynch (ignoriert Max, fesselt Coleman mit seinem Blick): Was sehen Sie, Agent Coleman?
Coleman: Es ist okay, Deputy Coyote. Wirklich, ist schon okay.
Lynch: Sehen Sie, dass ich abgespritzt habe, Laura? Ist das jetzt abgefahren genug für Sie?
(Eine längere Pause. Lynch starrt immer noch auf Coleman. Er hängt schlaff auf dem Stuhl, nicht verausgabt, eher traurig.)
Ich stellte mir vor, wie Laura Coleman seinem Blick widerstand und sich weigerte, eine Regung zu zeigen.
(Lynch hebt die Hand zum Gesicht und streicht mit den Fingernägeln über die schorfige Stelle. Max verlässt den Aufnahmebereich der Kamera wieder, doch ich habe das Gefühl, dass er jetzt näher bei Coleman steht.)
Obwohl ich nur wenig sehen kann, ist die Anspannung im Verhörraum spürbar.
Coleman (räuspert sich): Wir machen eine Pause. Sie gehen sich umziehen.
Lynch: Klar.
Ich hatte ebenfalls nichts gegen eine Pause. Ich stieß die Luft aus – mir war gar nicht aufgefallen, dass ich den Atem angehalten hatte. Ganz egal, wie oft man Kreaturen vom Schlage eines Lynch bereits gesehen hat, sie hinterlassen immer wieder aufs Neue einen bleibenden Eindruck. Manchmal aber auch nicht, und das ist noch schlimmer.
(Coleman steht auf. Der Stuhl scharrt auf dem Boden.)
Coleman: Oh, noch eine letzte Sache, bevor ich es vergesse. Die Ohren, die Sie den Opfern abgeschnitten haben. Waren das Trophäen?
Lynch: Ja, könnte man so sagen. Ja.
Coleman: Der Gerichtsmediziner sagt, Sie hätten die Ohren post mortem abgeschnitten.
Lynch (zuckt die Schultern): Schon möglich.
Coleman: Post mortem bedeutet, nach Eintritt des Todes.
Lynch: Weiß ich doch. Ich lese viel von Jeffrey Deaver.
Coleman: Wo sind sie?
Lynch: Wo ist was?
Coleman: Die Ohren. Was haben Sie mit den Ohren gemacht?
(Eine lange Pause.)
Lynch (schiebt etwas Unsichtbares von sich): Ich … ich hab sie weggeworfen.
Coleman (zögert): Wo?
Lynch (er muss nachdenken, und diesmal denkt er wirklich angestrengt nach; seine Stimme hebt sich um eine halbe Oktave): Weiß ich nicht mehr. Hab sie in eine Mülltonne geschmissen. Was spielt das für ’ne Rolle?
Coleman: Sie erinnern sich an viele Einzelheiten, viel mehr, als wir wissen. Zum Beispiel daran, wo die Leichen waren. Sie wissen von den Postkarten, die Jessicas Vater nach ihrem Tod bekam, und von der Kate-Smith- CD , und Sie wissen von den abgeschnittenen Ohren. Die Sache mit den Ohren ist wichtig für Sie, stimmt’s? So wichtig, dass Sie es nicht vergessen haben.
(Lynchs Gesicht arbeitet unablässig, während er Colemans Logik zu folgen versucht. Er antwortet nicht.)
Coleman: Was ist, Lynch? Haben Sie Angst, etwas Falsches zu sagen, weil Sie fürchten, dann trotzdem
Weitere Kostenlose Bücher