Der stille Sammler
erste Schritt auf dem Weg zum Sexualmörder. »So, so, er hat also gestanden. Okay, aber schicken Sie mir nicht den Leichnam.« Er gab einen meckernden Laut von sich, der wohl ein Lachen darstellen sollte.
»Mr. Lynch, wir sind hergekommen, weil wir annehmen, dass Floyd die gestandenen Verbrechen gar nicht begangen hat«, sagte Coleman. »Vielleicht ist das ein Trost für Sie.«
Lynch wandte den Kopf zur Seite und starrte auf ein paar Büschel Büffelgras an der Seite des Wohnwagens. Er sah aus wie ein Mann, der keinen Trost erwartet, von niemandem, niemals.
»Und wir sind hier, weil wir die Antworten auf ein paar offene Fragen suchen, Sir«, sagte ich.
»Zum Beispiel?«, wollte er wissen.
»Fällt Ihnen eine einigermaßen plausible Erklärung dafür ein, warum Floyd die Schuld für etwas auf sich nehmen sollte, was er gar nicht getan hat?«
»Nein.« Lynch nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und legte den Kopf in den Nacken, als wären seine Lungen allein nicht kräftig genug, den Tabakrauch zu inhalieren, nach dem sein Körper gierte. »Wenn Sie mich fragen … ich denke, er hat es getan«, sagte er, nachdem er den Rauch wieder ausgestoßen hatte. »Der Junge hatte immer schon böses Blut.«
»Böses Blut?«, fragte ich.
»Er war von Grund auf schlecht. Hören Sie, ich weiß nicht, was Sie von mir erwarten. Soll ich mich vielleicht schämen, weil mein Sohn ein Serienkiller ist? Möchten Sie sehen, wie ich die Hände ringe und weine? Ich will Ihnen was sagen. Ich war froh, als er endlich von zu Hause fortging und ich keine Angst mehr haben musste, dass er jemanden aus der Gegend abmurkst.« Er zögerte, als lausche er dem Echo seiner Worte, gab ein weiteres meckerndes Lachen von sich und schaute uns an, als wartete er darauf, dass wir einstimmten.
Laura Coleman und ich konnten uns nicht überwinden, ihm diesen Gefallen zu tun.
»Wann haben Sie Floyd zum letzten Mal gesehen?«, fragte Coleman.
»Vor ungefähr vier Jahren, als er seinen eigenen Truck gekauft hatte. Kam vorbei, um damit anzugeben.«
»Lebte Ihre Frau damals noch?«
»Nee. Warum? Wollen Sie ihm das anhängen?« Lynch lachte lauter als zuvor, doch genauso humorlos.
»Was hielten Sie von seinem Lastwagen? Hat er Sie einsteigen lassen? Ihnen alles gezeigt?«
»Ich bin nicht eingestiegen. Ich hatte allerdings Hoffnung. Ist ’ne große Sache, wenn ein Mann sich seinen eigenen Truck leisten kann. Ich dachte damals, ich brauchte mir endlich keine Sorgen mehr zu machen, dass irgendwann die Bullen vorbeikommen und mich mit Fragen über ihn bombardieren, hehe.«
Ich sah nun, dass sein Lachen ein Deckmantel für die Ängste war – vielleicht immer gewesen war –, die er geleugnet hatte. Vielleicht war die Verhaftung seines Sohnes in gewisser Weise eine Befreiung für ihn gewesen. Vielleicht sehnte er sich wirklich danach, dass Floyd starb.
Floyd Lynch hatte seinen Lastwagen also vor vier Jahren gekauft. Ich rechnete in Gedanken nach. Vermutlich war das die Zeit gewesen, als er es allmählich leid geworden war, immer wieder den Pass hinaufzufahren, um sich mit Jessicas Leiche zu vergnügen. Vielleicht war das mit ein Grund dafür gewesen, dass er sich einen eigenen Truck gekauft hatte. Weil es bequemer war für ihn, immer eine Mumie dabeizuhaben.
»Er ist nur vorbeigekommen, um Ihnen den Lastwagen zu zeigen? Das war alles?«
Lynch überlegte kurz. »Er sagte mir, dass er erfolgreich sei und haufenweise Geld verdiene.«
»Hat er Ihnen irgendetwas über sein Leben erzählt?«
Wilbur Lynchs Blick wurde leicht glasig. Als wäre er sich gar nicht bewusst, laut zu reden, sagte er: »Ein bisschen.«
»Und was?«
Er schaute auf und schien überrascht zu sein, dass wir vor ihm saßen. »Da war ’ne Kiste«, sagte er. »Er bat mich, sie für ihn aufzubewahren.«
»Haben Sie die Kiste noch?«, fragte Coleman. Ihr Tonfall war etwas zu eifrig. Ich hoffte, dass Lynch es nicht merkte.
»Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht, bis jetzt gerade.«
»Dürfen wir die Kiste sehen?«
»Er sagte, es wären nur Bücher drin.«
»Wir würden trotzdem gerne einen Blick hineinwerfen, wenn Sie nichts dagegen haben, Sir.«
Er dachte kurz nach. Wahrscheinlich wog er ab, ob es eher zu seinem Vorteil war, wenn er sich einverstanden erklärte, oder ob er sich weigern sollte. »Ich guck mal nach, ob sie noch da ist«, sagte er dann, erhob sich und machte Anstalten, in seinen Wohnwagen zu gehen. Er schien selbst ein bisschen neugierig geworden zu
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