Der stille Sammler
Mal überhaupt – hatten Menschen überall im Land einen Killer live im Fernsehen erlebt, und niemand wusste, wie man das uns, den Kindern, erklären sollte.
Damals, im Keller des Polizeigebäudes in Dallas, Texas, war es ein kurzläufiger Colt Cobra .38 gewesen, und das Opfer hatte Lee Harvey Oswald geheißen. Der Killer, ein gewisser Jack Ruby, war ein kleiner Ganove aus Nevada. Im Unterschied zu Ruby hatte Zach nur eine .22, keine allzu durchschlagskräftige Waffe. Doch anders als bei den Geschehnissen damals in Texas hatte Zach nicht die Absicht, sich von den Polizeibeamten überwältigen und abführen zu lassen.
Er hob die Waffe und schoss sich eine Kugel den Kopf.
32.
Als Zach zu Boden ging und die Waffe aus seiner Hand fiel, stürmten Reporter, Kameraleute und Fotografen nach vorn, tief geduckt aus Angst vor weiteren Schüssen, während sie noch immer filmten oder fotografierten, schon um des möglichen Pulitzerpreises willen. Sicherheitsleute des Gerichts schwärmten aus, verschränkten die Arme und bildeten eine Gasse für den Notarzt und die Sanitäter, die nach zwei endlos langen Minuten auf der Bildfläche erschienen. Zwei Krankenwagen fuhren vor. Der eine brachte Lynch weg, der andere Zach. Ich bahnte mir einen Weg zum zweiten Rettungswagen und saß bei Zach, während der Arzt und die Sanitäter sich um ihn kümmerten. Er war kein geübter Schütze, der Rückstoß hatte ihn überrascht, und er hatte ohnehin zu hoch gezielt – deshalb war er nicht gleich gestorben. Er wollte reden. Ich versuchte ihn zu beruhigen, doch der Sanitäter sagte, es sei wegen der Hirnverletzung besser, ihn bei Bewusstsein zu halten.
»Ich hab ihn erwischt«, stieß Zach mit unsäglicher Anstrengung hervor.
»Das hast du, Kollege, das hast du.« Mein Blick fiel auf das Blut auf seinem Hemd, Spritzer von Lynch, vermischt mit seinem eigenen Blut aus der Kopfwunde. Auch dieses Hemd hatte noch Falten von der Verpackung. Er hatte ein neues Hemd angezogen, um Lynch zu töten.
Zach tastete mit der Zunge in seiner Mundhöhle umher, befeuchtete sie, um reden zu können. »Von wegen lebenslänglich.«
Ich nahm an, dass er den Deal meinte, den der Bundesanwalt und Lynchs Verteidiger geschlossen hatten. Ich drückte seine Hand. »Zach, mein lieber Zach, warum hast du nicht mit mir geredet?«
Er verzog das Gesicht wie in plötzlichem Schmerz. »Tot?«, fragte er.
Ich war nicht sicher. »Ja, Zach«, antwortete ich. »Er ist tot.«
Er hatte immer größere Mühe, die Zunge zu bewegen. »Froh?«, brachte er hervor.
»Sehr«, sagte ich, obwohl es eine glatte Lüge war – jetzt würde ich wohl niemals herausfinden, wer Jessica tatsächlich getötet hatte. »Zach … Zach? Bleib bei mir, Zach!«
Doch es war zu spät. Er war tot.
Ich lehnte mich zurück, sodass die Sanitäter ihre Arbeit tun konnten, doch ich wusste, dass es vorbei war. Wenn Zach sich erst zu einem Entschluss durchgerungen hatte, war er nicht mehr davon abzubringen. Ich bemerkte ein Stück Plastik in seiner Hemdentasche und zog es hervor. Es war das Foto von Jessica. Ich wischte es an meinem eigenen Hemd ab. Die Laminierung hatte verhindert, dass Blut ins Papier einsickerte. Ich fuhr bis zum Krankenhaus mit und half den Sanitätern beim Ausfüllen der Formulare. Ich sagte ihnen, wie sie Zachs Sohn finden konnten, sein nächster Angehöriger, der sich nun wahrscheinlich um den Leichnam seines Vaters kümmern würde. Und den von Jessica.
33.
Ich ging in den Waschraum neben dem Wartezimmer der Notaufnahme, um mir das Blut von den Händen zu waschen, und erhielt eine Mitfahrgelegenheit zurück zum Gerichtsgebäude und meinem eigenen Wagen. Auf dem Nachhauseweg fragte ich mich, wie es wohl wäre, mit Carlo über all das reden zu können.
Fünfundvierzig Minuten später stellte ich den Wagen in der Garage ab und ging ins Haus, wo mich der nächste Schlag erwartete.
Anfangs bemerkte ich gar nicht, dass Carlo nicht so gelassen war wie sonst. Er saß an seinem Schreibtisch, den Kopf in den Händen, als brütete er über seinen Kontoauszügen. Ich rief ihm ein rasches »Hi!« zu, schob die Möpse mit dem Fuß beiseite und eilte auf direktem Weg ins Schlafzimmer, um meine Sachen zu wechseln, bevor Carlo Zachs Blut darauf sehen konnte.
Janes Satinüberdecke lag auf dem Lesesessel in der Ecke des Zimmers.
Die Bettwäsche war abgezogen, die Matratze ebenfalls, doch die Wäsche war nirgendwo zu sehen. Sie musste im Wäschezimmer sein.
Ich gab den Versuch auf, normal zu
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