Der stille Schrei der Toten
geworden, aber ich glaub’s nicht.«
»Ich knöpf mir den Schreibtisch vor.« Bud steuerte auf einen grazilen Sekretär an der hinteren Wand zu.
»Aber sei bitte vorsichtig. Ich will möglichst exakte Fotos vom Schauplatz haben. Wenn er mit uns spielt, hat er vielleicht absichtlich Spuren hinterlassen.« Wegen meiner Erfahrung mit Mordfällen leitete ich die Ermittlungen, aber Bud konnte auf vier Jahre Verbrechensbekämpfung beim Police Department von Atlanta zurückblicken, und seine Tätigkeit als Geheimermittler hatte seine Instinkte geschärft.
Ich durchsuchte das Wohnzimmer nach jeder noch so kleinen Auffälligkeit. Ein ausladendes Sofa aus feinstem Leder im selben blassgelben Farbton wie die Wände dominierte den Raum. Es stand in einem zweieinhalb Meter weiten Bogen um einen aus Naturstein gemauerten Kamin. Fünf marineblaue Chenille-Kissen verteilten sich in perfekter Ausrichtung über die dick gepolsterte Rückenlehne. In der Mitte dieser Sofalandschaft stand ein Cocktailtisch, dessen Glasplatte auf einem bizarr gebildeten Stück Treibholz ruhte. Der einzige Gegenstand auf dem Tisch war eine flache Schale aus schwarzem Stein. Ich kniete mich hin und besah mir die Glasplatte von unten. Es waren keine sichtbaren Fingerabdrücke vorhanden. Möglicherweise hatte der Mörder die Platte extra abgewischt. Sollte es trotzdem welche geben, würde Buckeye sie finden.
In der Schale lagen eine komplizierte TV-Fernbedienung und ein Satz Schlüssel. Ich nahm meinen Kugelschreiber heraus und angelte mir den Schlüsselring. Daran hingen drei goldene Schlüssel; auf einem prangte das Zedern-Emblem der Anlage, offenbar der Bungalow-Schlüssel, das andere war ein Autoschlüssel für einen Mercedes und ein dritter schließlich sah aus wie ein kleiner Gepäckschlüssel. Außerdem baumelte an dem Schlüsselring eine runde Goldplakette mit dem NBC-Pfauenlogo. Ich fragte mich, wie die New Yorker NBC-Bosse wohl auf das Hinscheiden ihres Stars reagieren würden. Dann legte ich die Schlüssel vorsichtig zurück. Vielleicht war ja eine gewisse Publicity-Sucht das Motiv des Täters. Vielleicht verschanzte er sich in irgendeinem dunklen Loch vor dem Fernseher und gierte nur drauf, dieses kleine Viertelstündchen im Rampenlicht zu stehen.
Ein Riesenteil von Flachbildfernseher bildete eine Einheit mit einer ultramodernen Stereoanlage, für die vielleicht sogar ich einen Mord begangen hätte. Ich war außerhalb meiner Arbeit nicht besonders aktiv, aber auf Musik konnte ich nicht verzichten, sanfte Musik, wenn ich nachts wach lag und an all die traurigen Erlebnisse in meiner Vergangenheit dachte. Die TVHIFI-Einheit bestand aus polierter Eiche und war zwischen zwei große Seitenfenster ohne Vorhänge eingepasst. Auch hier war alles makellos sauber, staubfrei bis in den letzten Winkel. Selbst der aus einem Messingtopf quellende künstliche Efeu glänzte sauber und rein. Ich öffnete die oberste Schublade und ging die beachtliche Sammlung an CDs und DVDs durch. Darunter befand sich auch ein gutes Dutzend Pornofilme. Die zweite Schublade war tiefer und komplett leer. Ich drückte auf den Knopf des DVD-Spielers, die Schublade glitt heraus, leer.
In der angrenzenden Küche gab es noch mehr polierte Eiche und glänzenden beigefarbenen Marmor. Eine komplett ausgestatte Bar mit Polsterhockern befand sich in der Nähe eines Fensterplatzes mit Blick auf die dichten Wälder. Ich versuchte das Gewirr aus Blättern und das dichte Unterholz mit meinen Blicken zu durchdringen und fragte mich, ob der Mörder dort draußen im Dunkeln gelauert hatte und sich, fasziniert von dem Fernsehstar, seine kranken Pläne nochmals durch den Kopf gehen lassen hatte. Oder hatte Sylvie die Person gekannt, die sie auf dem Seegrund verschwinden ließ? Ein Freund, ein eifersüchtiger Liebhaber, ein unbekannter Feind?
Auf der Anrichte stand unter einem beigen Wandtelefon ein Anrufbeantworter. Unangeschlossen. Daneben gab es einen Doppelkühlschrank mit Eis- und Wasserspender an der Tür. Ich zählte sechs Literflaschen Perrier und fünf Packungen mit gemischtem Salat. Im Türfach fand ich eine Flasche Italian Dressing, die Diätvariante, und eine halbe Flasche weißen Zinfandel aus Kalifornien.
Sylvie hatte entweder ihre Einkäufe vernachlässigt, oder aber sie war eine jener magersüchtigen Hollywood-Schönheiten, die kaum genügend Kraft für die obligatorischen Liebesszenen hatten, bei denen die Paare die abenteuerlichsten Verrenkungen vollführten und zum Schluss
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