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Der stille Schrei der Toten

Der stille Schrei der Toten

Titel: Der stille Schrei der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Ladd
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alle intakt. Ich wunderte mich, dass Black das Gemäuer nicht längst aufgekauft und renoviert hatte. Schluss damit. Denk nicht dauernd an ihn.
    Polizisten säumten den Pfad, der von der Ruine zum Tatort führte. Der Wasserturm lag ein Stück weit entfernt, über einen Weg direkt am Steilhang entlang erreichbar, der einem erst eine Vorstellung der Begriffe »jäh« und »Abgrund« vermittelte. Wir legten die Strecke über die seitlich gesicherten Plankenwege schnell zurück. Ich warf einen Blick in die Tiefe, als mir einfiel, dass hier ein Typ einmal seine Frau in die blau-grün schäumenden Frühlingsfluten hinuntergestoßen hatte, aber das war vor meiner Zeit. Zum Bedauern des Ehemanns verfing sie sich im Gestrüpp zwischen den Felsen, anstatt für immer im Wasser und aus seinem Leben zu verschwinden. Von der Natur ausgebremst. Ich wünschte, dieser Fall wäre auch so einfach.
    Charlie Ramsay stand am Fuß des Wasserturms. Für gewöhnlich war der Zugang zu den Treppen im Inneren durch ein Eisentor versperrt, um Touristen daran zu hindern, nach oben zu steigen. Heute jedoch war er offen, die schwere Kette und das Schloss lagen am Boden. Der Turm war aus viereckigen Feldsteinen errichtet und erinnerte an Glockentürme in der Toskana oder an die Bergfriede im England zu Zeiten König Arthurs. Fast hätte ich schon erwartet, den Zauberer Merlin in einem der drei Fenster hoch über mir zu sehen, umflattert von einem schwarzen, mit Mondsicheln und Sternen bedruckten Umhang und mit magisch ausgebreiteten Händen. Oder war das der Typ aus Harry Potter?
    »Nun. Wird langsam Zeit, Claire. Annie. Was darf’s denn sein?« Die Leute hatten tatsächlich Probleme, wie sie mich ansprechen sollten.
    »Claire.«
    »Alles klar?«, flüsterte mir Charlie noch zu. Seine Art sich zu entschuldigen, dass er mich suspendiert hatte. Ich nickte.
    Im Inneren standen ein paar Männer von der Highway-Patrouille herum und zankten sich über Zuständigkeiten. Ich erkannte O’Haras Mann und begrüßte ihn mit dem obligatorischen ernsten Nicken. Er war deutsch-irischer Abstammung, groß und breitschultrig, und wenn man ihn sich so ansah, würde man ihn am liebsten in einen traditionell gemusterten Skipulli stecken und aufs Matterhorn transferieren.
    Ich konzentrierte mich auf Charlie. »Welcher Kopf? Brandenberg?«
    Er zuckte leicht mit den Schultern und sog nervös an seiner Pfeife. »Eine junge Frau. Blond. Wohl oder übel wirst du sie identifizieren müssen.«
    Ich sagte: »Okay, aber ich habe sie seit Jahren nicht gesehen.« Drinnen sah ich Shag, wie er sich mit der Kamera seinen Weg um die Leiche bahnte. Als er nach rechts auswich, sah ich den toten, gegen die Rückwand gelehnten Körper, das lange blonde Haar über das Gesicht und den nackten Oberkörper fließend. Dieses Mal war das Isolierband schwarz mit Blut verkrustet. Ich erkannte einige der halbmondförmigen Wunden auf ihrem Bauch und den Brüsten. Er hatte also abermals zugeschlagen, und direkt vor unseren Augen.
    »Wurde sie bewegt?«
    »Noch nicht.«
    Bud und ich zogen Handschuhe und Überzieher für die Schuhe an und passten genau auf, wo wir hintraten. Der Boden im Inneren war voller Blutflecken. Die Grundfläche betrug ungefähr sechsunddreißig Quadratmeter, und eine Treppe führte nach oben. Bis auf das Opfer war der Raum leer. Sie saß auf dem nackten Erdboden und sah uns direkt an. Es sah aus, als hätte der Täter ihr die Haare über das Gesicht frisiert. Mir fielen das Isolierband und der schräg geneigte Kopf auf.
    »Er hat offenbar einen Trip in den sonnigen Süden Kaliforniens gemacht, Brandenberg ermordet und dann ihren Kopf für diese Leiche hierhergebracht.« Bud kratzte sich am Kinn. »Er hat sich nicht ohne Grund eine alte Freundin von dir ausgesucht. Meinst du, er hat dich auf dem Kieker, weil du gegen ihn ermittelst?«
    »Weiß nicht.« Ich richtete den Blick auf Charlie. »Ist eigentlich Gil Serna wieder aufgetaucht?«
    Er nickte. »Er wurde in einer Privatklinik in Acapulco, Mexiko, gesichtet. Von daher kommt er als Täter wohl kaum mehr in Frage. Dieses Opfer stammt wahrscheinlich aus dieser Gegend, ist in den Dreißigern und ziemlich sportlich. Von daher dürfte sie sich heftig gewehrt haben.«
    Ich näherte mich der Leiche und ging daneben in die Knie. Wie in den Sümpfen hatten sich schon überall bläulich schimmernde Fliegen angesiedelt, deren Summen den steinernen Raum erfüllte. Es war drückend heiß, und der Gestank von geronnenem Blut haute mich

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