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Der stille Schrei der Toten

Der stille Schrei der Toten

Titel: Der stille Schrei der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Ladd
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Wolkenschicht. Der Wind frischte immer mehr auf. Ich fragte mich unablässig, wie es Harve ging, und ich hoffte nur, während ich südwärts preschte, dass ihn nicht dasselbe Schicksal ereilt hatte wie Dottie.
    Sein Boot lag mit unveränderter Position gut zwei Meilen entfernt in Possum Cove. Hier war Dotties bevorzugter Angelgrund, und hier wohnte auch ihre Freundin Suze Eggers. Es leuchtete ein, dass die beiden dort fischten.
    Der Himmel hing jetzt so tief, dass er die bewaldeten Berge und Steilhänge am Ufer scheinbar fast berührte, und ich atmete erleichtert auf, als ich Harves Cobalt sichtete, festgemacht an einen alten, halb eingesunkenen Steg. Indem ich nach Steuerbord abdrehte, fuhr ich darauf zu. Als ich feststellte, dass das Boot und der Uferbereich verlassen waren, wuchs meine Unruhe. Ich stellte den Motor ab, manövrierte mein Boot direkt neben Harves, nahm ein Seil und knüpfte die beiden Boote aneinander.
    »Harve! Bist du da?«, rief ich, während ich in das andere Boot umstieg und mit den Augen den steinigen Pfad absuchte, der vom Ufer aus durch dichtes Gestrüpp bergauf führte. Keine Antwort. Nur die gegen das Ufer anrollenden Wellen waren zu hören. Ich stieg nach unten, fand aber nichts, bis ich Blutspritzer auf dem Boden sah. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter, und ich zog meine Waffe und kletterte zurück aufs Deck. Der Sturm toste nun mit solcher Kraft, dass die Wellen weiß von Schaum gekrönt quer über die Bucht ans Ufer rasten.
    Das Boot schaukelte so stark, dass ich mich nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte.
    Ich hielt mich am Kabinendach fest und suchte die Baumlinie über dem Wasser ab. Durch die sturmgepeitschten Äste hindurch sah ich schwarze Dachschindeln. Das Haus konnte nur Suze gehören. Der Regen prasselte mir mittlerweile ins Gesicht, aber ich ignorierte den stechenden Schmerz und zog mein Handy heraus, um Unterstützung anzufordern. Ich bekam keine Verbindung, und mir fiel ein, dass es in diesem abgelegenen Winkel kaum Mobilfunkantennen gab. Also versuchte ich es mit dem Equipment im Boot, aber die durch das Gewitter elektrisch so stark aufgeladene Luft brachte alle Kommunikationssysteme zum Erliegen. Ich sah den steilen Berg hinauf. Ganz oben wäre vielleicht ein Handyempfang möglich. Und was noch wichtiger war, Harve könnte sich da oben befinden.
    Ich hielt meine Glock einsatzbereit in der Hand, den Finger am Abzug, während ich steil bergauf stieg. Der Pfad wand sich um Gebüsch und Unterholz herum, und während ich voranschritt, suchte ich die Umgebung auf beiden Seiten des Pfads ab, wagte aber nicht, es mir einzugestehen, wonach ich Ausschau hielt. Sollte der Mörder Dottie und Harve hier überfallen haben, könnte er eventuell auch Suze erwischt haben. Oder vielleicht war ja Suze der Mörder. Sie war mir immer schon suspekt gewesen, und gemocht hatte ich sie noch nie. Schon bei unserer ersten Begegnung war es mir kalt den Rücken hinuntergelaufen. Dottie war ihre beste Freundin gewesen, und nun war Dottie tot. Suze hatte Dienst gehabt in jener Nacht, als Sylvie in ihrem Bungalow ermordet wurde. Sie war als Erste am Mordschauplatz gewesen, sie hatte die Gelegenheit …
    Am oberen Ende des Pfads kam ich hinter einer alten Scheune heraus. Sie war baufällig und verwittert, und auch das Dach hatte schon bessere Tage gesehen, aber es war genau das Gebäude, das mir schon von unten aufgefallen war. Ich schlich mich seitlich daran entlang, froh dass der Sturm die Geräusche übertönte, die meine Schritte in dem abgestorbenen Laub und Geröll längs der Wand verursachten. Ich blieb stehen, als ein zweistöckiger Ziegelbau, offenbar das Farmhaus, in meinem Blickfeld auftauchte. Es befand sich in besserem Zustand und sah bewohnt aus. Die Rückseite des Hauses lag ungefähr dreißig Meter vor mir. Es gab dort eine Veranda mit Schaukel. Eine Schotterstraße führte um das Haus herum und in den Wald. Dies musste eines jener Gehöfte sein, die schon vor Generationen erbaut und wie Harves Grundstück nie an irgendwelche Immobilienhaie verkauft wurden.
    Ich hielt mich weiter versteckt und besah mir die Fenster des Hauses, vier im oberen Stockwerk und zwei links und rechts an den Seiten der Veranda. Unten hingen dunkle Vorhänge, während die altmodischen Schiebefenster oben mit weißen Laken verhangen waren. Keine Lebenszeichen. Ich stand gegen die Scheunenwand gelehnt und versuchte nochmals, Bud über das Handy zu erreichen, bekam aber auch dieses Mal keine Verbindung.

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