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Der stille Schrei der Toten

Der stille Schrei der Toten

Titel: Der stille Schrei der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Ladd
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…«
    »Tu einfach, was ich dir sage, Harve. Kannst du dich bewegen?«
    Er begann vorwärtszurobben. Ich klemmte den Baseballschläger unter den Arm, packte ihn am Kragen und zog ihn mit aller Kraft voran. Er war noch immer betäubt, weshalb er alle paar Minuten innehielt und bleischwer wurde. Darauf zog und schob ich ihn weiter voran, bis wir die Tür über der Rampe erreicht hatten. Wir stolperten hindurch und landeten beide auf allen vieren im Freien. Die Nahtstiche meiner Wunde mussten sich gelöst haben, denn ich spürte, wie das Blut heiß an meinem Arm entlang herunterlief. Das Licht auf der hinteren Veranda brannte, und ich sah Dottie auf dem Pfad, der zum See hinunterführte.
    »Pscht, Harve, sag jetzt nichts. Versuch nur, möglichst wach zu bleiben.«
    Ich kroch in geduckter Haltung über den Boden und zog ihn mit mir in Richtung auf das Gebüsch, das das ganze Haus umgab. Als Harve vor Erschöpfung nicht mehr weiterkonnte, kniete ich mich hin, fasste ihn unter den Armen und zog ihn zum Gebüsch. Bis dorthin brauchten wir mehrere Minuten. Ich dachte an die Scheune als sicheres Versteck, verwarf aber die Idee schnell. Dort würde sie uns sicher finden. Der Wald war die bessere Lösung. Also kämpfte ich mich mit Harve über dem aufgeweichten Boden voran, wobei ich ihn mehr schleppte als trug, und behielt dabei, so weit das ging, weiter den Pfad im Auge. Dann sah ich sie; der Lichtstrahl einer Taschenlampe wies ihr den Weg zur hinteren Veranda. Oh Gott, sie würde sehen, dass wir geflohen waren. Wir mussten uns dringend verstecken.
    Ich gab nicht auf, hoffte inständig, sie würde noch nicht gleich im Keller nachsehen, aber es war dunkel, und es goss in Strömen, und Harve stöhnte und ächzte. Dann hörte ich aus der Ferne, wie sie nach mir rief, sah den Strahl der Taschenlampe in weiten Bögen hin und her schwingen. Sie war uns auf den Fersen.
    Ich entdeckte einen umgestürzten Baumstamm und zog Harve da hin und begann dann wie verrückt mit dem Hackmesser in dem weichen Erdreich zu graben. Als ich eine Kuhle gebuddelt hatte, rollte ich Harve dicht neben den Stamm und scharrte feuchtes Laub über ihn. Dann, als der Lichtstrahl immer näher kam, legte ich mich, den Rücken an seiner Brust, zu ihm und versuchte verzweifelt, uns beide mit Blättern und Zweigen zu bedecken.
    »Annie, was ist –«
    »Pscht, Harve«, sagte ich und presste ihm die Hand auf den Mund.
    Nun konnte ich Dotties Stimme hören. »Annie, Annie, du bist ein böses kleines Mädchen. Komm du mir mal nach Hause!«
    Sie kam näher, ging immer wieder vor und zurück. Ich hielt das Hackmesser fest in der Hand und lugte durch die Zweige. Es blitzte, und ich sah, dass sie nur ein paar Schritte entfernt war.
    Ich lag reglos da und wartete darauf, dass sie uns fand.

34
    Hu-hu, Annie, wo bist du?« – Ich rührte mich nicht. Harve lag bewusstlos hinter mir. Bei ihrem ersten Versuch, uns zu finden, war Dottie im Dunkeln um den Baumstamm herumgegangen und hatte uns übersehen. Dieses Mal hatten wir möglicherweise nicht so viel Glück. Sie war zum Haus zurückgelaufen, als die Bootssirene abermals ertönte, aber ich war liegen geblieben und hatte versucht, die Blutung meiner Schulterwunde mit einem Stofffetzen von Harves Hemd zu stillen. Ich zitterte unaufhörlich und wurde von Minute zu Minute schwächer. Ich wusste, dass ich Harve keinen Zentimeter mehr weiterschleppen könnte. Mir blieb nichts anderes übrig als zu beten, dass wer sich auch immer in diesem Boot befand, kommen und uns retten würde. Nun war Dottie zurück und kam näher. Allmählich graute der Morgen, und die Dunkelheit wich einem diffusen Licht.
    »Ich hab eine neue Überraschung für dich, Annie«, zwitscherte Dottie glücklich. Sie schien immer näher zu kommen. »Du wirst staunen.«
    Ich versuchte, sie zu sehen, was mir aber nicht gelang, ohne mich zu bewegen. Und das traute ich mich nicht. Harve stöhnte, und ich erstickte den Ton unter meiner Hand.
    »Ich hab keine Zeit, ewig nach dir zu suchen, Annie. Aber ich sag dir was: Ich werde Harve nicht töten, falls das der Grund war, warum du weggelaufen bist. Dazu hab ich ihn sowieso viel zu gern. Ich wollte nur einen Freund von dir vor deinen Augen töten, und außer ihm hatte ich niemanden. Aber das ist jetzt alles anders: Es gibt nun jemanden, den ich töten kann und den ich noch dazu auch überhaupt nicht mag, was die Sache sehr erleichtert. Ich überlasse dir Harve, wenn du dafür mit ins Haus kommst und dabei zusiehst, wie

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