Der stille Schrei der Toten
kenne ich Sylvie. Seit sie hier Gast ist, sind wir gute Freundinnen geworden. Wir laufen beide gern, und letzte Woche sind wir jeden Tag drei Meilen miteinander gelaufen.«
Sie seufzte tief und schüttelte den Kopf, wobei ihre Frisur sich keinen Millimeter bewegte. Sie hatte auch überhaupt keine Falten, nicht einmal auf der Stirn. Botox ließ grüßen. »Ich weiß gar nicht, wie ich das verkraften soll«, sagte sie und sah mich mitleidheischend an. Okay, als Polizistin bin ich mehr als skeptisch. Tatsächlich meinte ich zu sehen, wie sie sich ihre Verpflichtung gegenüber Dr. Black und Cedar Bend in Erinnerung rief. Ihre Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen.
»Wir tun alles Menschenmögliche, wirklich alles, um unsere Gäste zu schützen. Nick besteht auf schärfsten Sicherheitsmaßnahmen, besonders was unsere Patienten betrifft.«
Hatte sie wirklich Nick gesagt? Interessant. Dr. Black und seine rechte Hand schienen sich ja gut zu verstehen.
»Mann, wie furchtbar. Dass Sie mit ihr befreundet waren und überhaupt.« Bud lehnte sich nach vorne, und für einen Moment dachte ich schon, nun würde er ihr gleich die Hand drücken, was er aber unterließ. Er sagte: »Trotz allem brauchen wir Ihre Hilfe, um den Täter zu fassen. Falls Sie sich dazu in der Lage fühlen. Wissen Sie, ob das Opfer Feinde hatte? Oder hat sie vielleicht Probleme erwähnt, die seit ihrem jüngsten Aufenthalt hier am See aufgetaucht sind?«
»So nahe standen wir uns nun auch wieder nicht. Jedenfalls noch nicht so nahe, als dass sie mit mir über ihre persönlichen Probleme gesprochen hätte. Tatsächlich kennt Nick sie viel besser als ich. Er ist fix und fertig und konnte fast nicht mehr sprechen, als ich ihm erzählte, was passiert ist.«
Ich sagte: »Weiß er etwas darüber, in welcher Verfassung sich Sylvie am Abend vor ihrer Ermordung befand?«
»Nein. Er war derjenige, der die Fragen gestellt hat«, sagte Miki. »Und mir waren natürlich längst nicht alle Details bekannt. Er will so bald wie möglich mit Ihnen sprechen, sodass Sie ihm sagen können, was genau passiert ist.«
»Wann kommt er zurück?«
»Morgen früh. Heute hat er noch Geschäftstermine in New York, und am Abend ist er Talk-Gast bei Larry King. Seine Termine sind Black immer heilig.«
Na gut. Ich sagte: »Ich will ihn sprechen, sobald er zurück ist. Für welche Zeit erwarten Sie ihn?«
»Er kommt mit seinem Privatjet zurück, aber wahrscheinlich wird er die Nacht über noch in New York bleiben. Er hat ein Loft in Manhattan, und seine Exfrau wohnt auch in der Gegend. Meistens besucht er sie.«
»Wie ist der Name seiner Exfrau?« Ich setzte den Stift auf meinen Notizblock.
»Jude.«
»Nachname?«, fragte ich.
»Aber doch nicht sie? « Bud war sofort ganz Ohr. »Sie meinen doch wohl nicht dieses dänische Supermodel?«
»Ja, sie ist ziemlich berühmt.«
»Na aber hallo. Vor ein paar Jahren war sie auf dem Titel der Sports Illustrated. Ich erinnere mich noch gut daran.«
Bud war ganz außer sich. Immerhin war es die Bikiniausgabe. Wahrscheinlich hing die Seite gerahmt in seinem Bad. »Wie lange ist Dr. Black schon geschieden?«
»An die fünf, sechs Jahre, glaube ich.« Der Themenwechsel schien ihr zu missfallen. Sie lehnte sich zurück. »Ehrlich gesagt, es wäre mir lieber, wenn Sie derlei Dinge mit ihm persönlich besprechen würden. Mich geht das wirklich nichts an.«
»Natürlich.« Ich nickte verständnisvoll von Frau zu Frau. »Wenn Sie mir ungefähr sagen, wann er hier sein wird, kann ich auf ihn warten, damit wir das Gespräch möglichst bald hinter uns bringen.«
Miki gefiel dieser Ton. »Dr. Blacks Terminkalender gerät oft durcheinander, verstehen Sie. Er ist ein sehr bedeutender Mann, aber der Flugplan sieht es vor, dass er New York um fünf Uhr morgens Ortszeit verlässt. Somit müsste er nach unserer Zeit um sechs hier eintreffen.«
»Der frühe Vogel fängt den Wurm, oder nicht?«, sagte Bud. Er grinste. Charmeur und Detective in einer Person.
Miki entspannte sich so weit, dass sie ein Lächeln zustande brachte. »Dr. Black braucht anscheinend nicht so viel Schlaf wie andere. Für mich ist es unvorstellbar, wie er mit so wenig auskommt.«
Neugierig geworden, warum Black kaum schlafen konnte, hakte ich nach. »Er ist ja als Analytiker von Filmstars sehr berühmt, aber hat er denn noch andere Interessen, die seine Zeit beanspruchen?«
Miki war sofort Feuer und Flamme, von den Glanzleistungen ihres Chefs zu erzählen. »Gerade hat er
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