Der stille Schrei der Toten
befreundet?«
Black griff nach dem silbernen Sahnekännchen und tröpfelte ungefähr einen Teelöffel voll Sahne in seine Tasse. Jede seiner Bewegungen war leicht und anmutig, und dennoch lässig maskulin. Er hielt mir das Sahnekännchen entgegen. Ich schüttelte den Kopf. »Nein danke, ich trinke ihn schwarz.«
Seine Augen blieben einen Moment zu lange auf mein Gesicht gerichtet; dann stellte er das Sahnekännchen zurück aufs Tablett. Er nahm keinen Zucker. Was für ein Beau, du meine Güte. Er strahlte Charisma aus wie brennend heißer Wüstensand die Hitze. Ich stand nicht so weit jenseits von Gut und Böse, als dass ich das nicht gespürt hätte. Es knisterte eindeutig, und die erotische Spannung war nahezu greifbar, als stünde sie personifiziert im Raum und lachte bei meinem Versuch, ihr auszuweichen. Ich fragte mich, ob er die Spannung auch spürte, denn ich stand voll in ihrem Bann. Aber es würde nie so weit kommen.
Ich hob meine Tasse zum Mund und nippte damenhaft. Nicht dass ich plötzlich zur Dame mutiert wäre, aber ich verstehe es durchaus zu nippen – nur den kleinen Finger spreizte ich dann doch nicht ab. Der Kaffee war stark und wirklich gut, nahezu perfekt. Für Nicholas Black kam natürlich keine koffeinfreie Brühe in Frage, und Miki gab auch hierin ihr Bestes.
Black nahm das Gespräch wieder auf. Er sagte: »Ich kenne die Eltern nicht besonders gut. Wir haben uns bei verschiedenen Gelegenheiten getroffen, und ich fand sie immer sehr nett. Aber ich fühlte mich doch verpflichtet, ihnen diese Schreckensnachricht persönlich zu überbringen, bevor sie im Fernsehen davon erfuhren.«
»Fühlten Sie sich auch dazu verpflichtet, die Schreckensnachricht über CNN weltweit zu verbreiten, oder war das nur ein Publicitytrick zur Vermarktung Ihres neuesten Buchs?«
Blacks Gesichtsausdruck blieb unverändert, aber ich sah, dass sich in diesen blauen Augen etwas bewegte, etwas, das auf Gefahr hindeutete. »Ich nehme eine gewisse Feindseligkeit bei Ihnen wahr, Detective. Glauben Sie etwa, ich hätte Sylvie ermordet? Ist das der Grund für alles? Oder liegt diese Gereiztheit in der Natur Ihres Charakters?«
»Eher Letzteres, würde ich sagen. Vor allem, wenn ich gerade eine hübsche junge Frau mit einem von Fischen angeknabberten Gesicht aus dem See geborgen habe. Und Sie waren, so weit wir wissen, am fraglichen Abend ihr einziger Besucher.«
Er wich meinem Blick nicht aus, nahm aber erst einen Schluck Kaffee, ehe er sagte: »Wahrscheinlich gelte ich so lange als Hauptverdächtiger, bis Sie mein Alibi überprüft haben.«
»Das gilt generell für alle Verdächtigen. Erzählen Sie von Ihrer letzten Begegnung mit Sylvie Border.« Ich zog Notizblock und Stift aus der Tasche und glitt zur Vorderkante des Stuhls. Er ließ mich warten, vielleicht weil er genau bedenken wollte, was er sagte.
»Es war vorgestern Abend, unmittelbar vor meiner Abreise nach New York.«
»Und wo fand diese Begegnung statt?«
»Ich habe sie in ihrem Bungalow besucht.«
»Wie spät?«
»Es dürfte so gegen neun Uhr abends gewesen sein, vielleicht aber auch halb zehn oder zehn.«
»Wann haben Sie den Bungalow wieder verlassen?«
»Ich blieb ungefähr eine halbe oder eine ganze Stunde, glaube ich. Sie war gerade dabei, sich bettfertig zu machen. Sie sagte, sie habe sich früher an diesem Abend mit Miki zum Laufen getroffen und sie sei müde. Wir sind draußen auf der Terrasse gesessen und haben auf den See hinausgeguckt.«
Ich schrieb, ohne aufzusehen. »Sind Sie sich sicher, Dr. Black, was diese Zeitangaben betrifft?«
»Ziemlich sicher. Allerdings sind sie geschätzt, und von daher wären Abweichungen möglich.«
Lüge Nummer eins, die aber doch zählte. Ich sagte: »Aus welchem Grund haben Sie Ms Border in ihrem Privatbungalow besucht?«
Ich behielt ihn jetzt genau im Auge, ob ich vielleicht ein Zögern oder Anzeichen von Schuld bei ihm entdecken würde. Er erwiderte meinen Blick, als wüsste er, was ich vorhatte und wie er darauf reagieren würde. Mich befiel das unangenehme Gefühl, dass er bei jeder polizeilichen Vernehmung seinen Mann stehen würde. Aber, so rief ich mir in Erinnerung, ich war ja auch nicht ganz schlecht, wenn ich wirklich motiviert war.
»Sie hat hier angerufen, um zu fragen, ob ich ihr vielleicht meinen Wagen über das Wochenende leihen könnte, und deshalb habe ich ihn ihr vorgefahren.«
»Sagte sie, wozu sie den Wagen brauchte?«
»Sie sagte, sie müsse zum Supermarkt und außerdem ein paar
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