Der stille Schrei der Toten
Sachen in der Mall besorgen.«
»Hat sie Ihren Wagen vor diesem Abend auch schon mal benutzt?«
»Letztes Wochenende, am Sonntagnachmittag. Um einkaufen zu gehen. Sylvie liebte es, zu shoppen.«
Seine Stimme klang jetzt schmerzlich belegt, und es wirkte durchaus echt. Andererseits zeigten die Bilder der Überwachungskamera klar, dass sein Wagen das Grundstück erst um Mitternacht verlassen hatte. Vielleicht konnte ich ihn dazu bringen, sich in diesem Punkt noch mehr zu verheddern. »Wie sind Sie an jenem Abend denn nach Hause gekommen?«
»Ich bin zu Fuß am See entlang gelaufen. Das geht schneller als über die Straße. Es war eine wunderschöne und sternenklare Vollmondnacht. Ich gehe gerne nachts spazieren. Ich kann dabei gut nachdenken.«
Da hatte er sich sehr geschickt eine brauchbare Geschichte zurechtgelegt.
»Worüber mussten Sie denn nachdenken, Dr. Black?«
»Ich habe mir Sorgen wegen Sylvie gemacht. Außer ihr gibt es weitere Fälle, die mir nicht aus dem Kopf gehen.«
»Und warum haben Sie sich Sorgen um Sylvie gemacht?«
»Sie war nicht glücklich und wollte nicht sagen warum.«
»Und wann, sagten Sie noch mal, haben Sie ihren Bungalow verlassen?«
»Gegen zehn oder halb elf. Ich musste zu Hause noch packen. Wir sind um Mitternacht gestartet.«
»Wir?«
»Meine Crew und ich.«
»Hatten Sie an diesem Abend Sex mit Sylvie gehabt?«
Zum ersten Mal blitzten seine Augen vor Zorn, nahmen aber dann dieses eisige Blau an, von dem Dottie gesprochen hatte.
»Nein, wo denken Sie hin? Ich habe Ihnen doch gesagt, Detective, sie war eine Freundin von mir. Eine gute Freundin und eine Patientin. Wir haben nie miteinander geschlafen, so wie ich auch mit meinen anderen Patientinnen nie schlafe. Ihnen ist doch sicher klar, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis dadurch schwer geschädigt würde.«
Ich hatte ihn verärgert, und das war gut so. Verärgerte Menschen machten Fehler und neigten zu Dummheiten. »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, Doktor, ich erledige hier lediglich meinen Job.«
Er entspannte sich und lächelte, wobei er strahlend weiße und ebenmäßige Zähne zur Schau stellte, ein richtiges Zahnpastalächeln. Ich fragte mich, ob er Jacketkronen trug oder das Gebiss zumindest regelmäßig bleichen ließ. »Ich habe nichts zu verbergen. Geben Sie Ihren Verdacht, was mich betrifft, so bald wie möglich auf, damit Sie freie Hand haben und den wahren Täter finden.«
»Vielen Dank für diesen Tipp in Sachen polizeilicher Ermittlung. Ich komme bei Gelegenheit gern darauf zurück, und dann werden wir ja sehen, ob wir den Killer finden.« Manchmal kann ich ganz schön sarkastisch werden.
»In Ihnen steckt eine Menge Wut, kann das sein? Ich würde ja zu gerne herausfinden, was da dahintersteckt.«
»Tut mir leid. Ich halte nichts davon, mich für tausend Dollar auf eine Couch zu legen und meine Geheimnisse auszuplaudern. Find ich blöd.« Ich lächelte freundlich. »Außerdem spielen meine persönlichen Belange in einem polizeilichen Ermittlungsverfahren keine Rolle. Sie sind derjenige, der im Fokus unserer Ermittlungsarbeit steht, Dr. Black.« Um die Wirkung zu verstärken, sah ich auf meine Notizen. »Hat sich Ms Border, als Sie sie an diesem Abend gesehen haben, auffällig verhalten oder auf eine Weise geäußert, wie sie es sonst nicht getan hätte?«
»In der Tat. Wie schon gesagt, sie war unglücklich und schon die ganze Woche über sehr durcheinander. Schon bei unserer ersten Sitzung war mir aufgefallen, dass sie total gestresst war, aber wir kamen voran. Einen oder auch zwei Tage lang war sie entspannt und glücklich, und dann, wie aus heiterem Himmel, fiel sie in den Zustand zurück, in dem sie hier angekommen war.«
»Warum war sie durcheinander?«
»Hierbei handelt es sich leider um vertrauliche Informationen, Detective.«
Wir starrten uns an wie in der Aufstellung zu einem Duell. Er genießt die Situation, stellte ich fest, aber das Problem ist, ich auch. Nicht gut und nicht besonders klug. Ich wollte ihm die Stirn bieten, ihn demütigen. Wie unprofessionell war das? Ich ließ es dabei bewenden und sagte: »Hat sie jemanden namentlich erwähnt, einen Freund, mit dem sie Streit hatte, oder eine Person, die ihr nachstellte, irgendetwas in dieser Richtung?«
»Da die Presse bereits darüber berichtet hat, kann ich sagen, dass sie eine Affäre mit einem Schauspieler hatte. Sie sagte, er habe sie früher an diesem Abend angerufen und sie habe mitten im Gespräch den Hörer
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