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Der stille Schrei

Der stille Schrei

Titel: Der stille Schrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Specht
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besonders schlimm? An weglaufen war jetzt nicht zu denken. Er hatte die Kontrolle über die Situation. Also musste ich schauen, dass es nicht weiter eskalierte.
    Er lief erregt hin und her. „Hör auf mit deinen Lügen. Du bist gesehen worden.“
    Fieberhaft überlegte ich. Irgendjemand hatte Lisa informiert. Wer meinen Mann? Dieser Jemand? Oder Lisa? Oder war das Thema noch weiter herumgereicht worden und dann irgendwann Lisa und Karl zu Ohren gekommen?
    Auf alle Fälle hielt ich erst einmal meinen Mund. Ich wusste, dass jedes Wort in dieser Situation falsch war und ihn nur noch wütender gemacht hätte. Ganz paradox und überhaupt nicht hilfreich meldete sich die Stimme in mir, die dem Gerechtigkeitssinn Genüge tun wollte und mit Häme darauf verwies, dass mein Mann ein fast legales Liebesverhältnis unterhielt. Schicke Eigentumswohnung, von ihm finanziert, ein Liebesnest, das Flittchen kokettierte sogar in der Öffentlichkeit damit. Oder die Skatrunde am Freitag. Halt die Klappe! Schweigen, um zu überleben, schalt ich diese Stimme.
    Die Bewegung hatte ich gar nicht kommen sehen. Die Tischplatte dröhnte. Er hatte mit seiner Faust draufgeschlagen. Zwar machte mir das Angst, aber es war auch ein gutes Zeichen. Er beherrschte sich für seine Verhältnisse über alle Maßen. Dann ging er zum Kühlschrank und holte sich ein Weizenbier.
    „Setz dich hin“, befahl er.
    Vorsichtig ging ich um den Tisch herum und setzte mich ihm gegenüber. In großen Schlucken trank er direkt aus der geöffneten Flasche. Vielleicht fehlte ihm die Geduld, auf das Einschenken und das Sinken des Schaumteppichs zu warten. Grob wischte er sich die Mundwinkel ab und richtete zwei böse Augen auf mich.
    „Also.“
    Nun durfte, nein, musste ich erzählen.
    „Tim ist mein“, ich kam nicht weiter.
    „So, Tim, hat der Kerl auch einen Nachnamen?“
    TPT fiel mir ein. Die Firma. Einen Nachnamen kannte ich gar nicht. Schon fühlte ich mich wie eine Angeklagte. Mist.
    „Nein, ich kenne ihn ja kaum.“
    „Aber dann küsst man sich in aller Öffentlichkeit?“
    „Karl, er ist mein Personal Trainer. Seine Firma heißt TPT, Tim Personal Training.“
    Die Flasche Weizenbier war leer.
    „Hol mir noch ‘ne Flasche.“
    Ich tat, wie befohlen, und brachte auch ein Glas mit. Langsam ließ ich das Bier ins Glas laufen. So versuchte ich, Teile der Kontrolle wieder zu erlangen. Er fixierte mich.
    „Es ist doch absurd. Wenn ich etwas mit ihm hätte, dann wäre ich doch nicht so doof, mich mit ihm in der Öffentlichkeit zu zeigen. Denk nach.“
    Für meine schwierige Situation ein forscher Angriff. Hoffentlich ging er gut.
    Karl überlegte und riss mir das Glas fast aus der Hand. Seine scheinbare Ruhe war also doch grenzwertig, gerade noch unter Kontrolle. Wieder trank er in großen Schlucken. Meine Kehle hätte es nicht ausgehalten, diese scharfe Kohlensäure eines Weizenbiers in solchen Mengen und in dieser Geschwindigkeit zu trinken. Ihm schien es aber gutzutun.
    „Warum gehst du zu ihm?“
    Vorsicht. Jetzt wurde es wirklich gefährlich. Welche Antwort würde er akzeptieren? Was würde er tolerieren? Meine Wange brannte, als ob eine glühende Kohle darauf gebunden wäre. Ich konnte nicht klar denken. Noch länger durfte ich aber nicht zögern.
    „Abnehmen.“ Wieder einige Sekunden Zeit gewonnen.
    „Was, abnehmen?“ Herausgestoßen. Ich konnte seinen Bieratem über den ganzen Tisch riechen.
    „Du weißt, dass ich in den letzten Jahren extrem zugenommen habe.“
    Seine Augen wurden noch kleiner. Beide synchron. Schweinsaugen. Klug. Gefährlich glitzernd. Nur das Grunzen fehlte.
    „Und warum willst du abnehmen?“
    Was er erwartete und natürlich nicht hören durfte, dass ich mich dann attraktiver fühlen würde.
    Ich zuckte mit den Schultern. „Mir ist manchmal übel. Ich habe ein Unwohlsein. Die Blutwerte sind schlecht. Ein Arzt hat mir empfohlen abzunehmen.“
    Höhnisch lachte er. „Ein Arzt? Dieser Dr. Bring ist doch ein Psycho.“
    Jetzt war mir klar, dass Lisa dahinterstecken musste. Freundin! Kimono? Hatte er auch mit ihr geschlafen? Mein Gott, wie ich mich in ihr getäuscht hatte. Nur sie wusste von Dr. Bring. Schließlich war er ihre Empfehlung.
    „Ja, er ist Psychiater, aber auch Arzt.“
    „Und was hat dir dieser Psycho sonst noch geraten?“
    „Nichts.“
    Das nächste Bier war ausgetrunken. Er wurde zusehends ruhiger.
    „Soll ich jetzt etwas kochen?“, ein Versuch, zur Tagesordnung überzugehen und alles als natürlich und in

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