Der stille Schrei
meine neue Zukunft einzusetzen. Tim konnte es gut gebrauchen und war jeden Euro wert.
Dann ging es ab in den Kurpark. Dieses Mal stand ein Intervall- und Bergtraining auf dem Programm. Puh, das war doch richtig anstrengend. Er hatte mir aber auf dem Weg in den Park vorher erklärt, dass wir jetzt die nächste Entwicklungsstufe in meinem Trainingsprogramm zünden würden, da ich nun reif dafür sei. Das hatte mich so motiviert, dass ich die Strapazen zwar körperlich spürte, aber mental noch mehr wollte.
Glücklich über meine neue Entwicklung, verabschiedete ich mich von ihm am Ende der Trainingsstunde direkt an meinem Auto. Vielleicht war ich zu spontan. Aber ich wollte ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange geben und musste mich dafür ganz schön strecken.
ZERWÜRFNIS
Frisch geduscht und bester Laune fand ich eine SMS von Lisa vor. Hast du heute Zeit? Na klar hatte ich. Ich simste zurück.
Wir trafen uns am Nachmittag zu einem Spaziergang. Sie hatte sich frei genommen.
„Was ist los, Lisa-Schatz?“
Sie wirkte ungewöhnlich ernst. „Du kennst einen Tim?“
„Du meinst den Personal Trainer?“
„Genau den.“
Ups. Der Ton klang überhaupt nicht gut.
„Ja. Wieso?“
„Hast du was mit ihm?“
„Lisa, spinnst du?“
„Nein, ganz ehrlich. Hast du was mit ihm?“
„Nein, auch ganz ehrlich.“ Ich fand die Frage schon absurd, deshalb musste ich flapsig antworten, merkte aber sofort, dass das gar nicht gut ankam.
Lisa schwieg und kaute auf ihren Lippen herum. „Du bist gesehen worden. Du hast ihn geküsst.“
Ups. Der Flurfunk im Jossgrund funktionierte besser als gedacht. Normalerweise gehen die Jossgründer doch gar nicht nach Bad Orb. Gegen meinen Willen wurde ich rot, wie ich merkte. Mist. Ich brauchte doch gar kein schlechtes Gewissen zu haben. Nichts war passiert. Er ist mein Trainer, und ich habe ihm auf französische Art einen Abschiedskuss gegeben, als Ausdruck meiner Freude.
„Lisa, was soll das? Er ist mein Personal Trainer, Empfehlung von Dr. Bring.“
„Personal Trainer“, äffte sie mich nach. „So nennt man das also. Worin trainiert er dich denn?“
„Lisa, ich verstehe deine Fragen nicht. Wieso reagierst du so komisch?“
Sie begann zu weinen, und unter Schluchzen brachte sie hervor: „Ich habe was mit ihm. Erst seit Kurzem. Aber er zieht sich auf einmal ganz stark zurück. Du spannst ihn mir aus.“
Uui, da wehte der Wind her. „Du hast mir ja gar nichts davon gesagt.“ Ich versuchte nicht vorwurfsvoll zu klingen. Aber es ging schief.
„Wieso auch? Es war ja noch ganz frisch. Ich laufe doch nicht durch die Gegend und binde jedem auf die Nase, dass ich eine neue Liaison habe.“
Jedem? Das saß. Für mich war Lisa meine beste Freundin. War das umgekehrt nicht so?
„Jedem?“, fragte ich ganz sanft und voller Enttäuschung.
„Ja, du sitzt doch wie die Made im Speck. Dein Mann ist hier der superreiche Unternehmer, behängt dich mit allen Klunkern, kauft dir die teuersten Kostüme, und du hast ein Leben in Saus und Braus.“
„Sag mal, spinnst du? Du weißt genau, wie ich unter ihm leide. Ich bin oft genug verprügelt und vergewaltigt worden.“
„Ach ja, so oft war es ja auch nicht. Und früher warst du doch auch scharf auf ihn. Jetzt stell dich nicht so an. Er ist doch total großzügig.“
Warum auch immer. Auf einmal hatte ich ein Bild in meinem Kopf. Violett. Kimono. Das Entsetzen sperrte mir den Mund auf.
Doch äußerlich ruhig sagte ich: „Lisa, du tickst nicht richtig.“
„Ach Quatsch, du tickst nicht richtig. In der Schule hast du mir damals auch den Klaus ausgespannt. Du gönnst mir einfach keinen Mann, sondern bist eine hochnäsige Ziege.“
Der Blitz schlug ein. Ich erstarrte zur Salzsäule. Etwas in mir zerbrach. Hatte ich Lisa so falsch eingeschätzt? Ich ließ sie stehen, drehte mich um und ging bitter enttäuscht davon.
VERHÖR
Interessanterweise war Karl schon zu Hause. Eine Stunde zu früh. Was war heute los?
Er fing mich an der Tür ab. „Wo warst du?“
„Ich habe mich gerade mit Lisa getroffen.“
„Lügnerin!“, und schon hatte ich eine gewaltige Ohrfeige gefangen. „Du warst bei deinem Liebhaber.“
Der Schlag hatte mich umgehauen. Ich saß auf dem Boden und verstand die Welt nicht mehr. Über mir mein Mann, das Monster, schäumend vor Wut. Langsam kroch ich zurück, nur weg von ihm. Die Angst stieg in mir hoch und legte sich wie eine Schlange um meine Kehle. Holte er wieder den Riemen? Wurde es heute ganz
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