Der Stolz der Flotte
Sie, Sir? Sollen wir Kurs ändern und ausreißen?« Aber als Bolitho auf das gereffte Marssegel und das
tiefliegende Deck deutete, grinste er beschämt. »Sie haben recht, Sir. Das hätte wenig Sinn.«
Halblaut sagte Witrand: »Ich verstehe Ihre Gefühle,
capitaine
.
Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein? Vielleicht mit einem Brief an Ihre Familie? Sonst könnte es Monate dauern…« Er blickte auf den Degen, dessen Griff Bolitho soeben umfaßte. »Ich könnte Ihren Degen nach England schicken. Besser als daß ihn irgendein Hafenhändler in die Klauen bekommt, eh?«
Bolitho wandte sich ab und beobachtete das Schiff, das jetzt so schnell zu der havarierten
Navarr
a
aufkam, daß er das Gefühl hatte, es wäre auf Kollisionskurs. Er konnte die vollen Mars- und Bramsegel unterscheiden und den hellen, züngelnden Wimpel im Masttopp. Mit voller Fahrt pflügte die Fregatte durch die tanzenden Wellen.
Eine braune Rauchwolke, die sofort im Wind verwehte, dann ein Krachen. Sekunden später sprang fünfzig Fuß vom Achterdeck entfernt eine schlanke Wassersäule hoch.
Gedämpfte Schreie tönten aus den offenen Luken, und Bolitho sagte finster: »Drehen Sie bei, Mr. Meheux.« Er sah zum Großmast hoch und fragte scharf: »Wo ist die Flagge?«
»Entschuldigung, Sir«, antwortete der Leutnant bedrückt, »mit der Flagge hatten wir Mr. Grindle zugedeckt, bis wir ihn bestatteten.«
»Ja.« Bolitho wandte sich ab, damit sie sein Gesicht nicht sehen sollten. »Aber hissen Sie sie jetzt, bitte.«
Meheux eilte hinweg, rief die Matrosen vom Decksgang und von den Webeleinen, von wo aus sie das fremde Schiff beobachteten. Minuten später ging die
Navarr
a
mit der flatternden, vor dem klaren Himmel gut sichtbaren Flagge in den Wind; die leeren Segel schlugen protestierend, und das Deck war auf einmal voller Menschen, die von unten heraufgeströmt kamen.
Bolitho balancierte die ungleichmäßigen Bewegungen der
Navarra
aus und trat wieder zu Witrand. »Ihr Angebot,
m’sieur
– war es ernst gemeint?« Er fingerte an seinem Koppel und fuhr mit niedergeschlagenen Augen fort: »Ich hätte da jemanden…«
Er brach ab und fuhr herum, denn ein tosendes Hurrageschrei hallte über das Wasser.
Die Fregatte halste und kam heran, und als sie zum Aufschießen in den Wind ging, sah er die Flagge am Besan. Es war die gleiche wie
die der
Navarra
,
und er mußte sich abwenden, um seine Bewegung zu verbergen.
Unter Freudensprüngen schrie Ashton: »Das ist die
Coquette
,
Sir!« Meheux grinste von einem Ohr zum anderen, schlug Allday auf die Schulter und brüllte: »Na also!« Und noch ein Schlag: »Na also!« Weiter brachte er nichts heraus.
Bolitho sah zu dem Franzosen hinüber. »Es wird nicht mehr nötig sein,
m’sieur.
«
Die gelben Augen des Mannes waren starr. Er hatte verstanden. »Aber ich danke Ihnen«, schloß Bolitho.
Witrand starrte die Flagge an. »Anscheinend sind die Engländer wieder im Mittelmeer«, sagte er nur.
Das Warten ist zu Ende
Sie brauchten noch zwei Tage, um das Geschwader zu finden, und während dieser Zeit fragte Bolitho sich oft, was wohl passiert wäre, wenn die
Coquett
e
nicht so rechtzeitig erschienen wäre. Der Chronometer der
Navarr
a
war zerbrochen; weder ein Sextant noch ein verläßlicher Kompaß waren vorhanden. Auch ohne die Sturmschäden wäre es ihm schwergefallen, den Schiffsort auch nur schätzungsweise festzulegen; vom Abstecken eines Kurses nach dem Gebiet, wo das Geschwader sich sammeln sollte, ganz zu schweigen.
Gifford, der lange, schlaksige Kommandant der
Coquette
,
nannte es »reines Teufelsglück«, und das mit Recht. Denn wäre er auf seiner vorgeschriebenen Station im Kielwasser des Geschwaders geblieben und hätte sich dort auf die befohlenen kurzen Späh- und Patrouillenfahrten beschränkt, so hätte er die havarierte, nicht voll manövrierfähige
Navarr
a
nie gefunden. Er hatte ein Segel gesichtet, hatte seinen Kurs geändert und war rekognoszieren gefahren; in der Sturmnacht hatte er es jedoch wieder verloren. Am nächsten Tag hatte er es wi edergefunden – es war eine britische Korvette, die noch dazu auf der Suche nach ihm selbst war. Sie war vierundzwanzig Stunden nach dem Auslaufen des Geschwaders in Gibraltar angekommen und brachte Depeschen für Broughton. Diese hatte sie an Gifford übergeben und war schleunigst wieder zurückgesegelt, da sie sich verständlicherweise in diesen feindverseuchten Gewässern nicht recht wohl fühlte.
Gifford wußte nicht, was
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