Der stolze Orinoco
er zu seinen Gästen, der Onkel und der Neffe, von denen Sie sprechen, erregen meine Neugierde. Bleiben sie nicht in Caïcara oder ist ihr Ziel nicht San-Fernando de Apura oder de Nutrias, sondern beabsichtigten sie wirklich, ihre Reise auf dem Oberlauf des Orinoco fortzusetzen, so wär’ ich gespannt, zu erfahren, welchen Zweck sie damit verfolgten. Die Franzosen sind ja kühn, das geb’ ich zu, sind wagemuthige Forscher… die Gebiete Südamerikas haben ihnen aber doch schon mehr als ein Opfer gekostet den Doctor Crevaux, der von den Indianern auf den Ebenen Bolivars erschlagen wurde, sowie seinen Begleiter, François Burban, dessen Grabstätte auf dem Friedhof von Moitaco sich schon nicht mehr nachweisen läßt. Ein gewisser Chaffanjon hat freilich bis zu den Quellen des Orinoco vordringen können…
– Wenn das der Orinoco ist! platzte Herr Varinas heraus, der eine ihm so ungeheuerliche Behauptung nicht ohne energischen Widerspruch hingehen lassen konnte.
– Gewiß, wenn das der Orinoco ist, antwortete der Gouverneur, und über diese geographische Frage werden wir ja nach Ihrer Reise, meine Herren, endlich aufgeklärt sein. Ich sagte also, daß jener Chaffanjon heil und gesund zurückgekehrt sei, freilich nicht, ohne wiederholt in Gefahr gewesen zu sein, wie alle seine Vorgänger niedergemetzelt zu werden. Man möchte wirklich behaupten, daß unser stolzer venezuolanischer Strom sie anlocke, diese Franzmänner, und ohne von denen zu sprechen, die jetzt unter den Passagieren des »Simon Bolivar« sind…
– Ja, das ist richtig, fiel Herr Miguel ein. Erst vor wenigen Wochen haben zwei dieser Wagehälse einen Zug durch die Ilanos östlich vom Strome unternommen…
– Wie Sie sagen, Herr Miguel. Es waren zwei junge Leute von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren, der eine, Jacques Helloch, ein Entdeckungsreisender, der andre, namens Germain Paterne, ein Naturforscher, der den Kopf daran setzen würde, ein neues Grashälmchen zu finden.
– Und seit jener Zeit haben Sie nichts von ihnen gehört? fragte Herr Felipe.
– Nicht das geringste, meine Herren. Ich weiß nur, daß sie in Caïcara an Bord einer Pirogue gegangen und daß sie, einer Meldung nach, bei Buena-Vista und bei la Urbana vorübergekommen sind, von wo aus sie sich auf einem der Zuflüsse des rechten Ufers hinausbegeben haben sollen. Von jener Zeit ab hat man nicht wieder von ihnen reden gehört, und man beunruhigt sich wohl mit Recht wegen ihres ferneren Schicksals.
– Hoffen wir wenigstens, sagte Herr Miguel, daß sie nicht in die Hände jener räuberischen und mordlustigen Quivas gefallen sind, die Columbia nach Venezuela hinüber gejagt hatte und die jetzt einen gewissen Alfaniz, einen aus dem Bagno von Cayenne entwichenen Sträfling, zum Anführer haben sollen.
– Ist das Thatsache? fragte Herr Felipe.
– Es scheint so, und ich wünsche Ihnen nicht, mit diesen Quivasbanden zusammenzustoßen, meine Herren, antwortete der Gouverneur. Uebrigens ist ja nicht ausgeschlossen, daß jene Franzosen einem ihnen gelegten Hinterhalte haben entgehen können und sie ihre Reise noch mit ebenso viel Glück und Muth fortsetzen, und endlich ist es ja möglich, daß sie heute oder morgen in einem der Dörfer des rechten Ufers wieder auftauchen. Möchten sie doch den gleichen Erfolg haben, wie ihr Landsmann! Man spricht hier aber auch noch von einem Missionär, der sogar noch weiter nach Osten zu vorgedrungen sein soll, von einem Spanier, einem Pater Esperante. Nach kurzem Aufenthalt in San-Fernando hatte dieser Pater nicht gezaudert, bis über die Quellen des Orinoco hinauszugehen…
– Des falschen Orinoco!« riefen gleichzeitig Herr Felipe und Herr Varinas.
Dabei schleuderten sie ihrem Collegen einen herausfordernden Blick zu, dieser aber neigte nur wenig den Kopf mit den Worten:
»So falsch, wie es Ihnen beliebt, werthe Collegen!«
Dann wendete sich Herr Miguel an den Gouverneur und sagte:
»Hab’ ich nicht auch gehört, daß es jenem frommen Pater gelungen sei, eine Mission zu gründen?
– Ganz recht, die Mission Santa-Juana, in der Nähe des Roraima, und sie scheint auch gut zu gedeihen.
– Ein schwieriges Unternehmen, meinte Herr Miguel.
– Vorzüglich, bestätigte der Gouverneur, wo es sich darum handelt, die wildesten der seßhaften Indianer, die in den südlichsten Gebieten hausen, die Guaharibos – beklagenswerthe Geschöpfe, die so tief unter der übrigen Menschheit stehen – zu civilisieren, zum katholischen Glauben zu
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