Der stolze Orinoco
über, abwechselnd der eine schlafend und der andre wachend, unter Bäumen lagen.
Vor jetzt achtundvierzig Stunden hatte sie nun in Folge des Erdbebens, das eine weite Strecke erschütterte, jene kaum glaubliche Massenauswanderung von Schildkröten auf ihrer Lagerstätte überrascht. Der sich vorschiebenden Masse konnten sie nicht vorauseilen, weil diese nicht wenige Raubthiere vor sich her trieb.
Es blieb ihnen also nichts andres übrig, als sich von den Chelidoniern, den wandelnden Panzern, die sich nach dem rechten Orinocouser hin bewegten, selbst mit forttragen zu lassen – für sie der beste und förderlichste Ausweg. Bisher hatten ihnen hierin nur die Affen nachgeahmt; einige Lieues von dem Strome entfernt folgten – das war am heutigen Tage gewesen – auch die Raubtiere dem Beispiele jener Vierhänder. Damit wurde die Sachlage noch bedrohlicher. Sie mußten sich gegen die Raubthiere, gegen Tiger, Pumas und Jaguare vertheidigen. Einige wurden mittelst der Hammerleßgewehre erlegt, während die Masse, ähnlich den beweglichen Trottoiren in manchen Großstädten Nordamerikas, sich dem Orinoco weiter näherte. Jacques Helloch und Germain Paterne verfügten nur noch über sehr wenige Patronen, als sie die ersten Häuser von la Urbana hinter der die Ortschaft schützenden Flammenwand erblickten, wo sie unter den uns bekannten Umständen ankamen. Das war das Ende des Studienausflugs der beiden Franzosen gewesen. Die zwei jungen Männer waren aber heil und gesund, und da auch la Urbana der Gefahr, von der lebendigen Lawine zerstört zu werden, entronnen war, hatte sich ja schließlich alles zum Besten gewendet.
So lautete der Bericht, den Jacques Helloch erstattete. An seiner ferneren Reiseroute gedachte er nichts zu ändern. Germain Paterne sollte sich mit ihm wieder einschiffen, um die Untersuchung des Stromes bis San-Fernando de Atabapo fortzusetzen.
»Bis nach San-Fernando? sagte der Sergeant Martial, der schon die Augenbrauen runzelte.
– Doch nicht weiterhin, antwortete Jacques Helloch.
– Nicht weiter?«
Aus dem Munde des Sergeanten Martial bedeutete dieses »Nicht weiter?« jedenfalls weniger einen Ausdruck der Befriedigung, als das Gegentheil.
Offenbar wurde der interimistische Onkel Jean von Kermor’s immer unumgänglicher.
Letzterer mußte nun auch seine eigne Geschichte erzählen, und es wird nicht wundernehmen, daß Jacques Helloch sich sehr bald und lebhaft für den siebzehnjährigen Jüngling interessierte, der vor den Gefahren einer solchen Reise nicht zurückschreckte.
Die beiden Männer sahen sich von einem Theile der Bravos-Indianer angegriffen. (S. 120.)
Sein Begleiter und er hatten den Oberst zwar nicht persönlich gekannt, in der Bretagne aber von seinem Verschwinden sprechen hören, und jetzt mußte sie der Zufall auf den Weg des blutjungen Mannes führen, der zur Aufsuchung seines Vaters ausgezogen war. Germain Paterne bewahrte noch einige verblaßte Erinnerungen an die Familie von Kermor und bemühte sich jetzt, diese aufzufrischen.
»Herr von Kermor, sagte Jacques Helloch, als jener seine Mittheilungen beendet hatte, wir sind hocherfreut über den Zufall, der dieses Zusammentreffen auf dem nämlichen Wege herbeiführte, und da es unsre Absicht war, nach San-Fernando zu gehen, so werden wir ja zusammen reisen. Dort dürften Sie, wie ich hoffe, weiteren Aufschluß über den Verbleib des Oberst von Kermor erhalten, und wenn wir Ihnen irgendwie von Nutzen sein können, dürfen Sie auf uns rechnen.«
Der junge Mann dankte seinen Landsleuten, der Sergeant Martial aber brummte grimmig vor sich hin:
»Erst die drei Geographen, und nun auch noch die beiden Franzosen! Alle Schockschwerenoth, das sind zu viele… viel zu viele, die uns beistehen wollen. Achtung, Feldwache!… Scharf aufgepaßt!«
Im Laufe des Nachmittags wurden die Reisevorbereitungen beendigt, d. h. die, die die dritte Pirogue betrafen, denn die beiden andern waren schon seit dem frühen Morgen segelklar. Die dritte Falca hieß die »Moriche«; als Schiffer hatte sie einen Baniva, namens Parchal, und als Besatzung neun Indianer, die alles Lobes werth waren. Nach Erneuerung des Proviants hatte Jacques Helloch nur den Verlust seines Lagermaterials zu beklagen, das ihm auf dem Zuge nach der Sierra Matapey gestohlen worden war. Germain Paterne, dem es dabei ja glückte, seine gefüllte Botanisiertrommel unversehrt zu retten, hatte überhaupt keine Ursache, sich zu beklagen.
Am folgenden Tage, am 28. August,
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