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Der Strandlaeufer

Der Strandlaeufer

Titel: Der Strandlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boëtius
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Norden, durch den Tunnel hindurch. Direkt hinter seinem Ausgang musst du über die Leitplanke klettern. Du stößt dort auf einen schmalen Pfad, der durch die Macchia direkt am Felsenabgrund entlang verläuft. Es ist ein alter Ziegenpfad. Er führt dich zum Turm. Ich hoffe, du bist schwindelfrei.«
 

 

Kapitel 10
    I ch las das Buch über Sarazenentürme in einer Nacht durch und erfuhr, dass es sie überall an der italienischen Küste gibt. Sie sind teilweise schon im frühen Mittelalter als Verteidigungsbollwerke gegen die Piraten der Barbareskenküste errichtet worden, als Ausgucksposten und Fluchtstätten in einem. Sie boten Schutz vor den sich damals häufenden Angriffen der Sarazenen, die im Dienste islamischer Fürsten oder auch im Eigeninteresse blitzartige ܜberfälle gegen die Bewohner der Inseln und Küstenregionen ausführten. Mit ihren Galeeren erschienen sie im Sichtschutz der Nacht oder einer Nebelbank an den Küsten und töteten und raubten alles, dessen sie habhaft werden konnten. Gefangene wurden selten gemacht, höchstens, um Verluste unter den eigenen Rudersklaven zu ersetzen oder um junge Frauen für die Sklavenmärkte zu erbeuten.
    Die Türme waren immer nach dem gleichen Prinzip gebaut. Außen dicke, glatte, unbesteigbare Mauern. Drinnen verschiedene Stockwerke und Treppen aus Holz. Zuoberst eine Aussichtsplattform mit Zinnen. Bis heute strahlen sie ein fast mythisches Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit aus.
    Am nächsten Abend ging ich wieder in die Gorillabar. Unter einem von Luigis neusten Kunstschätzen, einem von Seetang bedeckten Autoreifen, der an der Wand hing und wie Neptuns Totenkranz aussah, saß Franco Celli.
    »Und? Warst du schon im Turm?«
    »Nein«, sagte ich. »Aber das Buch habe ich ausgelesen.«
    »Du hast vor etwas Angst, Sarazeno. Weißt du, was Sarazeno heißt? Der Name kommt von dem griechischen Wort Sarakenoi und war die Bezeichnung für einen westarabischen Stamm. Später bedeutete das Wort einfach €›Der Fremde€‹. Deshalb passt es auch so gut zu dir. Mir scheint, du fürchtest dich vor deinem Roman. Oder vielleicht auch nur vor der Erinnerung? «
    Diesmal war ich es, der nickte. Was er nicht ahnte und was ich mir selber kaum eingestehen wollte, war noch eine andere Angst, aber die trieb mich eher dazu, meine alte Wohnung zu verlassen. Ich fürchtete mich vor einer Beziehung mit Carla, sosehr ich sie auch begehrte. Auch sie war offensichtlich eine Fremde. Eine allzu große Nähe zu ihr war gefährlich.
    Celli betrachtete mich amüsiert. »Höre, Sarazeno. Der Turm wird dir wirklich gefallen. Es ist ein geheimnisvoller Ort. Die Mauern sind über einen Meter dick. Wenige Schlitze im Mauerwerk lassen gerade so viel Licht herein, dass am Tage Dämmerung herrscht und in der Nacht hin und wieder das Funkeln eines Sternes zu sehen ist, wenn der Schacht im Mauerwerk sich durch die Drehung der Erdkugel zufällig wie das Rohr eines Teleskops auf ihn richtet. Das Rauschen des Meeres ist manchmal schwach wie ferner Mönchsgesang in seinem Inneren zu hören, aber bei Sturm dröhnt und bebt es, als würde der Teufel in der Hölle eine riesige Pauke schlagen, um das Ende der Welt anzukündigen. ܜber eine schmale Wendeltreppe kann man im Innern des Turmes über verschiedene Stockwerke bis zur Plattform gelangen. Sie ist von einer brusthohen Mauer mit Schießscharten umgeben und bietet einen überwältigenden Ausblick auf die Umgebung, auf die einst von Korkeichenwäldern und heute von Stechginster und Lorbeerbüschen bedeckten Hügel des Hinterlandes, auf die Buchten, auf die weiße Stadt und natürlich auf das Meer, entlang dessen Horizontlinie bei klarem Wetter eine Reihe von Inseln zu segeln scheinen.«
    Er trank sein Weinglas aus, erhob sich und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. »Du bist zwar kein Provinzfürst, und du hast auch keine Angst vor Seeräubern, aber du solltest dir das Bauwerk ansehen, und zwar möglichst bald. Was ich dir anvertraut habe, ist mehr als ein Stückchen Eisen. Das wirst du schon noch merken, Sarazeno. Es ist vielleicht sogar der Schlüssel zu deinem Leben. Du kannst dort wohnen und arbeiten. Es gibt sogar einen Generator, der Strom liefert. Ich weiß allerdings nicht, ob noch Treibstoff da ist. Vielleicht besuche ich dich einmal. Vielleicht besucht dich auch Marconis Geist. Und vielleicht überfallen dich dort auch all die Erinnerungen, die sich dir bisher so beharrlich entzogen haben.«
 

 

Kapitel 11
    B eim nächsten

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