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Der Strandlaeufer

Der Strandlaeufer

Titel: Der Strandlaeufer
Autoren: Henning Boëtius
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Es lautet: Alles hat seinen Platz, die kleineren Teller in größeren, die kleineren Töpfe in größeren. Auch für die vom Vater höchst persönlich angebrannten Pfannen gilt dies. Er würde es nie übers Herz bringen, eine größere angebrannte Pfanne im Unterschrank auf eine kleinere zu schieben. Also wartet die Küche, dieser saubere, resopalverkleidete Raum, jeden Abend still in ihrer Sauberkeit auf den Einbrecher, der nie von draußen kommen wird, weil ihn schon der Anblick der Eibenzweige vor der nordischen Dämmerung zu sehr deprimieren würde.
    Wenn der Vater sich entschließt zu Bett zu gehen, nachdem er zwei Stunden im Ohrenstuhl vor dem Fernseher geschlafen hat, steht er noch eine Weile am Wohnzimmerfenster und blickt in den Garten hinaus. Er mustert ihn wie etwas, das unter ungünstigen Umständen auf ihn zukommen könnte mit all diesen Baumwipfeln, den Wolken, dem fahlen Dämmerungshimmel. Am schlimmsten ist der Schornstein des Nachbarhauses. Von ihm geht am meisten freches Gebaren aus. Der Vater steht dicht am Glas, fast berührt seine Stirn die Scheibe, und betrachtet aus kleinen, geröteten Greisenaugen all dies Unheil der Außenwelt. Er atmet dabei schwer. Diese Inspektion dauert vielleicht sieben oder zehn Minuten. Dann wechselt er das Fenster, und auch hier ist es nicht anders. Er scheint zu keinem eindeutigen Ergebnis zu kommen, wie der Sohn vermutet, der im Hintergrund auf dem Sofa sitzt. Sicher, die Bäume gefallen ihm nicht. Sie wachsen, sie stehen in ihrem Saft, sind mehr denn je grün belaubt. Und wenn auch der Himmel die Gnade hat, allmählich dunkler zu werden, so zögert er doch damit, und alles schimmert immer noch ganz schön frech in der indirekten Beleuchtung aus dem vergehenden Tag.
    All dies scheint den Vater nicht milde zu stimmen. Im Gegenteil. Denn plötzlich dreht er sich ab, schwenkt seine schmal gewordenen Schultern weg von der Welt. Der Sohn hört, wie er auch heute die Küchentür abschließt, dann die Klotür und die Tür zum Bad und zum Keller, und schließlich die Schlafzimmertür von innen.
    »Mein Vater ist zu Bett gegangen. Seine Angst ist müde geworden«, schreibt der Sohn. Dann legt er den Kuli beiseite und versteckt das Geschriebene unter den Prospekten und Zeitungsartikeln, die sein Vater für ihn gesammelt hat, weil er denkt, die Themen könnten seinen schriftstellernden Sohn interessieren.
    Plötzlich geht die Tür auf, und die Mutter kommt herein. Sie ist also immer noch nicht tot, denkt der Sohn, und er schämt sich. Besonders, als die Mutter den Text unter den Zeitungsseiten wieder hervorholt und ihn aufmerksam liest. Dabei nickt sie, immer wieder. Und dann löst sie sich auf in jenes Nichts, das der Sohn überall in seinem Elternhaus spürt als feinen Staub, den die Mutter immer so sorgfältig aufgewischt hat.
    Sie haben wieder einmal Krach gehabt. Der Sohn hat den Vater angeschrien aus lauter Verzweiflung, und der Vater hat zurückgeschrien aus lauter Verzweiflung. »Du hast mich nie verstanden, dein ganzes Leben lang nicht«, brüllt der Vater. Und der Sohn weiß, dass er völlig Recht hat. Denn da gab es nie etwas zu verstehen. Beide lieben sie sich, aber sie haben kein Verständnis füreinander. Das konnte natürlich nicht gut gehen, diese Mischung aus Liebe und Fremdheit. Der Anlass für ihren Zwist war nichtig, so wie Anlässe für Zwiste immer nichtig sein müssen, sonst gäbe es keine Zwiste.
    Inmitten einer harmonischen Phase des vorangegangenen Tages hatte der Sohn vorgeschlagen, einen kleinen Raum unter dem Dach für sich zurechtzumachen. Der Vater hatte diesen Raum mit seinen schrägen Wänden vor vielen Jahren selbst ausgebaut, isoliert, mit Spanplatten verkleidet und gelb gestrichen. Zitronengelb. Seine Frau hatte die schrille Farbe ausgesucht. Der Raum dient als Abstellkammer. Ein ungenützter Kühlschrank, zwei Klappbetten, ein Schrank mit Mänteln der Toten, die sie schon zu Lebzeiten ausgemustert hatte. Nun möchte der Sohn diesen Raum für sich.
    Er will darin schlafen, darin arbeiten. Ein erster Versuch, dieses Haus an einer unwesentlichen Stelle für sich zu besiedeln. Der Vater ist einverstanden. Sie bauen den Schrank ab, stellen ihn im Trockenraum auf, schaffen den Kühlschrank hinüber. Es ist ein Neuanfang, denkt der Sohn. Dann malen beide, weißeln, spritzen Farbtropfen umher. »Du kannst nicht malen«, sagt der Vater, »du nimmst zu viel Farbe.« Ehe der Sohn Zeit hat, sich zu verteidigen, geht der Vater nach unten.
    Das
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