Der Streik
sehen will?“
Sie dachte ernsthaft darüber nach. „Nein“, sagte sie. „Daran hatte ich nicht gedacht. Aber ich kann verstehen, warum Sie das nicht wollen.“
„Warum?“ Es war eine Frage, auf die er selbst keine Antwort wusste.
„Niemand ist wirklich gut genug für Sie, Mr. Taggart“, antwortete sie schlicht und meinte es nicht als Schmeichelei, sondern als Tatsache.
„Das glauben Sie?“
„Ich glaube, ich mag die Menschen nicht besonders, Mr. Taggart. Zumindest die meisten.“
„Ich auch nicht. Keinen einzigen.“
„Ich dachte, ein Mann wie Sie … Sie wüssten nicht, wie grausam die Menschen sein können und wie sie versuchen, Sie zu zertreten und Sie auszunutzen, wenn Sie nicht aufpassen. Ich dachte, die großen Männer der Welt könnten ihnen entkommen und würden nicht andauernd von Flöhen gebissen, aber vielleicht habe ich mich geirrt.“
„Was meinen Sie mit ‚von Flöhen gebissen‘?“
„Ach, das ist nur eine Redensart von mir, wenn es mal schwierig wird – dass ich mich zu einem Ort durchschlagen muss, wo ich nicht das Gefühl habe, andauernd von Flöhen gebissen, von Gemeinheiten aller Art verfolgt zu werden – aber vielleicht ist es überall dasselbe, nur dass die Flöhe größer werden.“
„Viel größer.“
Sie schwieg, als dächte sie über etwas nach. „Seltsam“, sagte sie traurig zu sich selbst.
„Was ist seltsam?“
„Ich habe einmal ein Buch gelesen, in dem es hieß, dass große Männer immer unglücklich sind – und je größer, desto unglücklicher. Für mich ergab das keinen Sinn. Aber vielleicht ist es wahr.“
„Es ist viel wahrer, als Sie denken.“
Sie sah verwirrt weg.
„Warum sorgen Sie sich so um die großen Männer?“, fragte er. „Was sind Sie, eine Art Heldenverehrerin?“
Sie wandte ihm den Blick wieder zu, und er sah das Leuchten eines Lächelns in ihrem Inneren, während ihr Gesicht feierlich ernst blieb. Es war der vielsagendste, persönlichste Blick, den jemals ein Mensch auf ihn gerichtet hatte, obwohl sie mit ruhiger, unpersönlicher Stimme sagte: „Was gäbe es sonst, zu dem man aufblicken könnte, Mr. Taggart?“
Ein kreischendes Geräusch, halb Glockenklang, halb Summer, setzte plötzlich ein und klingelte mit nervtötender Beharrlichkeit.
Sie riss den Kopf herum, als erwachte sie vom Läuten eines Weckers, dann seufzte sie. „Es ist Ladenschluss, Mr. Taggart“, sagte sie bedauernd.
„Holen Sie Ihren Hut – ich warte draußen auf Sie“, sagte er.
Sie starrte ihn an, als hätte sie unter allen Möglichkeiten, wie das Leben spielen konnte, diese eine niemals für denkbar gehalten.
„Ehrlich?“, flüsterte sie.
„Ehrlich.“
Sie wirbelte herum und rannte wie der Blitz durch die Tür in den Angestelltenbereich, vergaß ihren Ladentisch, ihre Pflichten und jede weibliche Umsicht, die gebot, sich bei der Einladung durch einen Mann niemals zu überschwänglich zu zeigen.
Mit zusammengekniffenen Augen sah er ihr einen Augenblick lang nach. Er gab seiner Empfindung keinen Namen – seine eigenen Gefühle niemals zu bestimmen, war seine einzige unumstößliche Lebensregel; er fühlte ganz einfach – und dieses spezielle Gefühl war angenehm, das war das Einzige, was er darüber wissen wollte. Aber das Gefühl entsprang einem Gedanken, den er nicht aussprach. Er hatte sich des Öfteren mit Mädchen der niederen Gesellschaftsschichten verabredet, die ein dreistes kleines Schauspiel abgezogen hatten, die so getan hatten, als sähen sie zu ihm auf, und mit einem offensichtlichen Ziel plumpe Schmeicheleien verteilt hatten; er hatte sie weder gemocht, noch verübelte er es ihnen; er hatte an ihrer Gesellschaft ein gelangweiltes Vergnügen gefunden und ihnen in einem Spiel, das er für beide beteiligte Parteien als ganz normal empfand, den Status von seinesgleichen zuerkannt. Dieses Mädchen war anders. Die unausgesprochenen Worte in seinen Gedanken waren: Die kleine Närrin meint es wirklich so.
Dass er aber ungeduldig auf sie wartete, als er auf dem Gehsteig im Regen stand, dass sie die eine Person war, die er heute Abend brauchte, verwunderte ihn nicht und schien ihm auch kein Widerspruch zu sein. Er benannte die Natur dieses Bedürfnisses nicht. Das Namenlose und das Unausgesprochene konnten nicht zu Widersprüchen werden.
Als sie hinauskam, bemerkte er an ihr eine besondere Kombination aus Schüchternheit und stolz erhobenem Kopf. Sie trug einen hässlichen Regenmantel, der durch den billigen Schmuck auf dem Revers noch
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