Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
Vom Netzwerk:
Taggart. Er lächelte.
    „Sie sehen genauso aus wie auf dem Bild“, sagte sie mit großer Verwunderung und fügte hinzu: „Das stell sich einer vor, dass Sie hier einfach persönlich hereinspazieren!“
    „Sollte ich das denn nicht?“ Seine Stimme klang amüsiert.
    „Ich meine, jeder spricht darüber, das ganze Land, und Sie sind der Mann, der es gemacht hat – und hier stehen Sie nun! Ich habe noch nie eine wichtige Persönlichkeit gesehen. Ich bin noch nie irgendetwas Wichtigem so nahe gekommen, ich meine etwas aus den Zeitungsnachrichten.“
    Er hatte noch nie erlebt, dass seine Gegenwart einem Ort, den er betrat, Farbe verlieh. Aber die junge Frau sah aus, als wäre sie nicht mehr müde, als hätte der Zehncentladen sich in einen Schauplatz von Dramen und Wundern verwandelt.
    „Stimmt es, was sie in den Zeitungen über Sie gesagt haben, Mr. Taggart?“
    „Was haben sie denn gesagt?“
    „Über Ihr Geheimnis.“
    „Welches Geheimnis?”
    „Nun, sie haben gesagt, Sie hätten, während alle anderen sich über Ihre Brücke stritten, ob sie einstürzen würde oder nicht, nicht lange diskutiert, Sie hätten einfach weitergemacht, weil Sie wussten, dass sie halten würde, obwohl sich niemand sonst sicher war – dass die Linie also ein Taggart-Projekt war und Sie der führende Kopf hinter den Kulissen. Aber Sie haben es geheim gehalten, weil es Sie nicht kümmert, ob Sie dafür Anerkennung bekommen oder nicht.“
    Er hatte die vervielfältigte Mitteilung seiner Werbeabteilung gesehen. „Ja“, sagte er, „es stimmt.“ Die Art, wie sie ihn ansah, gab ihm das Gefühl, als stimmte es wirklich.
    „Das war wunderbar von Ihnen, Mr. Taggart.“
    „Erinnern Sie sich immer so gut an das, was Sie in der Zeitung gelesen haben, bis ins Detail?“
    „Na ja, ich denke schon – zumindest an alle interessanten Sachen. Die großen Sachen. Ich lese so etwas gerne. Mir selbst passiert nie etwas Großes.“
    Sie sagte es fröhlich, ohne Selbstmitleid. Eine jugendliche, bestimmte Direktheit lag in ihrer Stimme und ihren Bewegungen. Sie hatte rotbraune Locken, weit auseinanderliegende Augen und ein paar Sommersprossen auf dem Rücken ihrer Stupsnase. Man konnte ihr Gesicht durchaus als hübsch bezeichnen, wenn man es je bemerkte, dachte er, aber es gab keinen besonderen Grund, es zu bemerken. Es war ein gewöhnliches kleines Gesicht, mit Ausnahme ihres Blicks, der voller Aufmerksamkeit und begeistertem Interesse war, ein Blick, der erwartete, dass die Welt hinter jeder Ecke ein aufregendes Geheimnis parat hielt.
    „Wie fühlt es sich an, ein großer Mann zu sein, Mr. Taggart?“
    „Wie fühlt es sich an, ein kleines Mädchen zu sein?“
    Sie lachte. „Großartig.“
    „Dann sind Sie besser dran als ich.“
    „Oh, wie können Sie nur so etwas …“
    „Vielleicht haben Sie Glück, dass Sie mit den großen Sachen in den Zeitungen nichts zu tun haben. Groß. Was bedeutet schon groß?“
    „Na ja … wichtig.“
    „Was ist wichtig?“
    „Das sollten Sie mir sagen, Mr. Taggart.“
    „Nichts ist wichtig.“
    Ungläubig sah sie ihn an. „Dass ausgerechnet Sie das sagen, ausgerechnet heute!“
    „Ich fühle mich ganz und gar nicht großartig, wenn es das ist, was Sie wissen wollen. Ich habe mich nie in meinem Leben weniger großartig gefühlt.“
    Er war überrascht, dass sie sein Gesicht mit einem so sorgenvollen Blick musterte, wie er ihm noch nie zuteilgeworden war. „Sie sind erschöpft, Mr. Taggart“, sagte sie ernst. „Sagen Sie ihnen, sie sollen zum Teufel gehen.“
    „Wem?“
    „Allen, die Sie entmutigen. Das darf nicht sein.“
    „Was darf nicht sein?“
    „Dass Sie sich so fühlen. Sie haben eine harte Zeit hinter sich, aber Sie haben es allen gezeigt, und jetzt sollten Sie es sich gut gehen lassen. Sie haben es verdient.“
    „Und wie sollte ich es mir Ihrer Meinung nach gut gehen lassen?“
    „Oh, ich weiß nicht. Aber ich dachte, Sie hätten heute Abend ein Fest, eine Gesellschaft mit all den hohen Tieren und Champagner und mit Dingen, die Ihnen überreicht werden, einem goldenen Schlüssel oder so, einer richtig pompösen Gesellschaft … anstatt hier ganz alleine herumzulaufen und so etwas Albernes wie Papiertaschentücher einzukaufen!“
    „Geben Sie mir diese Taschentücher, bevor Sie sie noch ganz vergessen“, sagte er und reichte ihr ein Zehncentstück. „Und was die pompöse Gesellschaft betrifft, ist es Ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass ich heute Abend vielleicht gar niemanden

Weitere Kostenlose Bücher