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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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eine Form der Bewunderung war, um Rearden herum. Rearden beobachtete ihn mit angewiderter Belustigung. Der junge Mann hatte keinen Schimmer von irgendeiner Moral, sie war ihm im College aberzogen worden; übrig geblieben war eine seltsame Offenheit, die naiv und zynisch zugleich war, wie die Arglosigkeit eines Wilden.
    „Sie verachten mich, Mr. Rearden“, hatte er einmal unvermittelt, ohne jeglichen Unmut erklärt. „Das ist unklug.“
    „Warum ist das unklug?“, hatte Rearden ihn gefragt.
    Der junge Mann hatte ihn verwirrt angesehen und keine Antwort gefunden. Er wusste niemals eine Antwort auf ein „Warum?“. Er sprach in oberflächlichen Behauptungen. Er konnte ohne zu zögern und ohne Erklärung über jemanden sagen: „Er ist altmodisch“, „Er ist rückschrittlich“, „Er ist unangepasst“; ebenso konnte er trotz seines Studienabschlusses in Metallurgie sagen: „Das Schmelzen von Eisen erfordert, glaube ich, eine hohe Temperatur.“ Er gab nichts als ungewisse Meinungen über physikalische Gesetze von sich – und nichts als kategorische Urteile über Menschen.
    „Mr. Rearden“, hatte er einmal gesagt, „wenn Sie einmal mehr Metall an Freunde vergeben wollen – ich meine, in größeren Mengen –, lässt sich das machen, wissen Sie. Warum beantragen wir nicht eine Sondergenehmigung aufgrund von dringendem Bedarf? Ich habe einige Freunde in Washington. Ihre Bekannten sind ziemlich wichtige Leute, große Geschäftsmänner, da sollte es nicht schwierig sein, mit dem Trick, ‚dringender Bedarf‘ durchzukommen. Natürlich gäbe es ein paar Extrakosten. Für Dinge in Washington. Sie wissen ja, wie das ist, diese Dinge bringen immer Kosten mit sich.“
    „Was für Dinge?“
    „Sie verstehen schon, was ich meine.“
    „Nein“, sagte Rearden, „das verstehe ich nicht. Warum erklären Sie es mir nicht?“
    Der junge Mann hatte ihn unsicher angesehen, es im Geiste abgewogen, bevor er sagte: „Das ist schlechte Psychologie.“
    „Was?“
    „Wissen Sie, Mr. Rearden, es ist nicht notwendig, Wörter wie diese zu verwenden.“
    „Wie welche?“
    „Wörter sind relativ. Sie sind nichts als Symbole. Wenn wir keine hässlichen Symbole benutzen, gibt es auch keine Hässlichkeit. Warum wollen Sie, dass ich Dinge auf eine gewisse Weise sage, wenn ich sie bereits auf eine andere gesagt habe?“
    „Auf welche Weise will ich denn, dass Sie sie sagen?“
    „Warum wollen Sie, dass ich es sage?“
    „Aus demselben Grund, aus dem Sie es nicht wollen.“
    Der junge Mann hatte einen Augenblick lang geschwiegen und dann gesagt: „Wissen Sie, Mr. Rearden, es gibt keine absoluten Maßstäbe. Wir können uns nicht an feste Prinzipien halten, wir müssen flexibel sein, wir müssen uns der Realität des Tages anpassen und nach den Erfordernissen des Augenblicks handeln.“
    „Kommen Sie mir nicht damit. Versuchen Sie einmal, ohne feste Prinzipien, nach den Erfordernissen des Augenblicks eine Tonne Stahl zu gießen.“
    Ein seltsames Gefühl, das fast an Nachsicht grenzte, ließ Rearden für den Jungen Geringschätzung, aber keinen Groll empfinden. Der junge Mann schien zu dem Geist der Ereignisse ringsum zu passen. Es war, als würden sie über Jahrhunderte hinweg in eine Epoche zurückversetzt, in die der junge Mann gehört hatte, aber er, Rearden, nicht. Anstatt neue Hochöfen zu bauen, dachte Rearden, bestritt er nun ein aussichtsloses Rennen, um die alten am Laufen zu halten; anstatt neue Vorhaben, neue Forschungen, neue Experimente mit Rearden-Metall in Angriff zu nehmen, verwendete er seine gesamte Energie darauf, nach Eisenerzressourcen zu suchen: wie die Menschen am Beginn der Eisenzeit, dachte er, nur mit weniger Hoffnung.
    Er versuchte diese Gedanken zu verdrängen. Er musste vor seinen eigenen Gefühlen auf der Hut sein – als wäre ein Teil von ihm ein Fremder geworden, der zum Schweigen gebracht werden musste, und als müsste sein Wille dessen ständiges wachsames Betäubungsmittel sein. Dieser Teil von ihm war etwas Unbekanntes, von dem er lediglich wusste, dass er niemals seinen Ursprung erkennen und ihm niemals eine Stimme geben durfte. Er hatte einen gefährlichen Augenblick durchlebt, der sich nicht wiederholen durfte.
    Es war der Augenblick gewesen, als er – an einem Winterabend allein in seinem Büro, wie gelähmt von dem Inhalt einer Zeitung, die ausgebreitet vor ihm auf dem Schreibtisch lag und auf deren Titelseite eine lange Liste von Richtlinien aufgeführt war – im Rundfunk die

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