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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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jenem Morgen in Ellis Wyatts Haus zu dir gesagt habe … ich glaube, ich habe mich selbst belogen.“
    „Ich weiß.“
    *
    Der Kalender über den Dächern zeigte durch das Grau des Nieselregens den 3. September, und auf der Uhr auf einem anderen Hochhaus war es 10 Uhr 40, als Rearden zum Hotel Wayne-Falkland zurückfuhr. Aus dem Radio im Taxi ertönte das Kreischen einer von panischem Schrecken ergriffenen Stimme, die den Zusammenbruch von D’Anconia Copper verkündete.
    Rearden lehnte sich matt in seinem Sitz zurück: Die Katastrophe schien ihm nicht mehr als ein überholter Zeitungsbericht zu sein, den er vor langer Zeit gelesen hatte. Er empfand nichts außer dem unangenehmen Gefühl, in unpassender Abendgarderobe in den morgendlichen Straßen unterwegs zu sein. Er hatte keine Lust, aus der Welt, die er verlassen hatte, in jene Welt zurückzukehren, die er draußen vor dem Fenster des Taxis im Nieselregen vorbeiziehen sah.
    Er schloss die Tür seiner Hotelsuite in der Hoffnung auf, so bald wie möglich an einem Schreibtisch zu sitzen und nichts mehr um sich herum sehen zu müssen.
    Es drang alles gleichzeitig in sein Bewusstsein: der Frühstückstisch, die offene Tür zu seinem Schlafzimmer, die den Blick auf ein Bett freigab, in dem jemand geschlafen hatte, und Lillians Stimme, die sagte: „Guten Morgen, Henry.“
    Sie saß in dem Kostüm, das sie gestern getragen hatte, nur ohne Jacke und Hut, in einem Lehnstuhl; ihre weiße Bluse wirkte adrett und frisch. Die Reste eines Frühstücks standen auf dem Tisch. Sie rauchte eine Zigarette, und ihr Ausdruck und ihre Haltung deuteten auf eine lange, geduldige Nachtwache hin.
    Während er reglos stehen blieb, nutzte sie die Zeit, um ihre Beine übereinanderzuschlagen und sich bequemer hinzusetzen. Dann fragte sie: „Willst du nichts sagen, Henry?“
    Er stand da wie ein Mann in Militäruniform bei einer offiziellen Parade, wo Gefühle nicht erlaubt waren. „Es ist an dir zu sprechen.“
    „Willst du denn nicht versuchen, dich zu rechtfertigen?“
    „Nein.“
    „Willst du mich nicht um Vergebung anbetteln?“
    „Es gibt keinen Grund, warum du mir vergeben solltest. Ich kann dem nichts hinzufügen. Du kennst die Wahrheit. Jetzt liegt es an dir.“
    Sie lachte auf, streckte sich, rieb ihre Schulterblätter an der Stuhllehne. „Hast du nicht damit gerechnet, früher oder später erwischt zu werden?“, fragte sie. „Wenn ein Mann wie du über ein Jahr lang keusch ist wie ein Mönch, dachtest du da nicht, ich könnte etwas ahnen? Komisch ist nur, dass dein berühmter Verstand dich nicht davor geschützt hat, so leicht ertappt zu werden.“ Sie deutete auf das Zimmer, den Frühstückstisch. „Ich war gestern Abend sicher, dass du nicht hierher zurückkehren würdest. Und es war überhaupt nicht schwierig oder teuer, heute Morgen von einem Hotelangestellten zu erfahren, dass du im vergangenen Jahr nicht eine einzige Nacht in diesen Räumen verbracht hast.“
    Er sagte nichts.
    „Der Mann aus rostfreiem Stahl!“ Sie lachte. „Der Mann der Leistung und der Ehre, der so viel besser ist als der Rest von uns! Tanzt sie in einer Revue, oder ist sie Maniküre in einem exklusiven Friseursalon, in dem Millionäre Stammgäste sind?“
    Er schwieg weiter.
    „Wer ist sie, Henry?“
    „Ich werde diese Frage nicht beantworten.“
    „Ich möchte es wissen.“
    „Du wirst es nicht erfahren.“
    „Glaubst du nicht, dass es lächerlich ist, jetzt den Gentleman zu spielen, der den guten Ruf einer Dame schützen will – oder überhaupt einen Gentleman, nach dem, was passiert ist? Wer ist sie?“
    „Ich sagte, ich werde diese Frage nicht beantworten.“
    Sie zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich ist es auch gleichgültig. Es gibt nur eine Art von Frau für diesen Zweck. Ich habe immer schon gewusst, dass du unter deinem asketischen Aussehen nichts als ein Lüstling bist, der bei einer Frau nichts als animalische Befriedigung sucht, und ich bin stolz, sie dir nicht gewährt zu haben. Ich wusste, dass dein viel gerühmtes Ehrgefühl eines Tages einstürzen würde und du dich zu der niedrigsten, billigsten Sorte Frauen hingezogen fühlen würdest, genau wie jeder andere untreue Ehemann.“ Sie lachte auf. „Deine große Bewunderin, Miss Dagny Taggart, war nur deshalb wütend auf mich, weil ich angedeutet habe, dass ihr Held nicht so rein ist wie seine makellosen rostfreien Schienen. Und sie war naiv genug zu glauben, dass ich sie im Verdacht haben könnte, die Art Frau zu

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