Der stumme Ruf der Nacht
sie. Was hatte sie auch zu verlieren? Wenn alles nach Plan lief, wäre Courtney Glass morgen früh schon über alle Berge. Was machte es dann,
was die Polizei über sie wusste. Mit Alex ’ Hilfe wäre sie unauffindbar.
»Laufen Sie nicht weg.« Devereaux sprang auf. »Ich bin zurück, ehe Sie das Bier ausgetrunken haben, das Sie nicht wollten.«
Das Haar noch feucht vom Duschen lag Courtney neben Will. Er spielte mit einer Locke, die er erst um einen Finger wickelte und wieder entrollte. Endlich hatte er herausgefunden, was sie so gut riechen ließ. Es war kein Parfüm, sondern ihr Shampoo.
Sie bewegte sich. Schob den Schenkel etwas höher zu ihm hinauf und neigte den Kopf, um ihn anzusehen. »Hallo.«
»Hallo.«
»Du bist so still.«
»Ich muss mich ein bisschen ausruhen«, sagte er, was eine ziemliche Untertreibung war. Es kam ihm vor, als ob sein Bett eben explodiert wäre. Das würde er nie vergessen.
»Machst du dir jetzt Sorgen?«
»Was meinst du damit?«
»Na ja, wegen des Falls. Vielleicht gibt es da eine Grenze, die wir nicht überschreiten dürfen?«
Seine Hand glitt über ihren Schenkel bis zur Hüfte hinauf und den ganzen Weg wieder zurück. »Ich bin so weit darüber – von hier aus kann ich die Grenze nicht mal mehr sehen.«
Sie stützte sich auf einen Ellenbogen, und sein Blick wurde von ihren runden weißen Brüsten gefangen.
»Tut es dir leid, dass ich hergekommen bin?«
»Ich weiß es nicht.« Auch wenn es nicht besonders nett war, entsprach das der Wahrheit. Er riskierte seinen Job. Einen Job, um den er sich jahrelang bemüht hatte. »Jedenfalls haben wir alles noch komplizierter gemacht.«
Sie blickte ihn an, und er war ihr dankbar, dass sie nicht verletzt schien. Sie streichelte seine Brust, fuhr mit der Hand jeden Muskel nach. Ihr schien es Spaß zu machen, ihn zu berühren. Seinetwegen konnte sie bis in alle Ewigkeit damit weitermachen.
»Mir tut es nicht leid«, behauptete sie.
Damit schmiegte sie sich wieder an ihn, und als er ihre Wärme und ihre Rundungen spürte, tat es ihm auch nicht leid. Egal was passieren würde. Aber das konnte er ihr noch nicht gestehen.
Sie nahm seine Hand und drehte die Innenfläche nach oben. Er wusste, was sie gleich fragen würde.
»Was ist mit deiner Hand passiert?«
»Das war ein dämlicher Unfall«, sagte er. »Ich hab auf einer Party zu viel getrunken. Bin hingefallen und dabei in eine Flasche gestürzt.«
»Hmm.« Ihr Zeigefinger wanderte über die Narbe und weiter über das Handgelenk zu einer anderen Narbe auf dem Unterarm. »Und die hier?«
Er zuckte, als ihr Finger zu einer dritten, kaum sichtbaren Narbe in der Nähe des Ellenbogens gelangte. Er wollte etwas sagen, unterbrach sich jedoch sogleich. Er wollte sie nicht anlügen. Sie hatte ihm zwar schon mehrmals nicht die Wahrheit gesagt, aber er hatte das Gefühl, das sei nun Vergangenheit. Zwischen ihnen hatte sich ein neues Vertrauen entwickelt, und das wollte er nicht aufs Spiel setzen.
»Die stammt aus der Zeit, in der du Soldat warst, oder?«
Er sah ihr in die Augen.
»Schon okay, wenn du nicht darüber reden willst«, beruhigte sie ihn. Sie küsste ihn auf die Handfläche, und innerlich gab es ihm einen Stich. »Ich kenne das von mir.«
Sie kuschelte sich näher an ihn und lehnte den Kopf gegen seine Brust. Ihr Ohr ruhte direkt an seinem Herzen, und er fragte sich, ob sie hörte, dass es schneller schlug, weil ihm das Thema unangenehm war. Er hatte noch nie das Bedürfnis gehabt, darüber zu sprechen, schon gar nicht mit einer Frau. Aber gerade weil sie diese Sache auf sich beruhen ließ, dachte er, sie verstünde das besser als alle anderen zuvor.
Er drückte sie an sich. »Erzähl mir von deinem Tag.«
Nun war sie es, die sich verkrampfte.
»Ich war an einem Tatort, als du angerufen hast, sonst wäre ich schon rangegangen.« Seine Hand fuhr durch ihr Haar.
»Dieser Kaspar-Hauser-Fall?«
»Hat dir Fiona davon erzählt?«
Sie stieß einen Seufzer aus. »Ja. Das hat sie echt mitgenommen. Ich habe mit ihr am Telefon darüber gesprochen.«
»Also, was ist heute Nachmittag passiert?«
»Man hat versucht, mich umzubringen.«
Er richtete sich kerzengerade auf. »Was?«
»Sie sind mir ins Internet-Café gefolgt -«
»Hast du die Polizei gerufen?«
»Ich habe dich angerufen.«
Wie sie dalag und ihn ansah, fühlte er sich wie von Schuld durchbohrt. Sie hatte ihn angerufen. Und er war zu beschäftigt gewesen, um ans Telefon zu gehen.
»Was ist dann
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