Der stumme Tod
Drohkulisse oder zu was sonst für einem Zweck, das sagte er nicht. Er sagte eigentlich gar nichts zu ihm, wies nur Christel Temme, die wie immer jedes Wort mitschrieb, einen Platz an dem kleinen Tisch zu. Widersprüche in den Zeugenaussagen gab es keine. Viel hatten die beiden Männer ohnehin nicht zu erzählen. Außer dass sie die Leiche gefunden hatten. Der Makler erklärte, dass das Luxor schon seit Anfang des Jahres leer stehe, weil der alte Betreiber das Kino heruntergewirtschaftet habe, und man nun die Gunst der Stunde nutzen und die wertvolle Immobilie zusammen mit einem fortschrittlich gesinnten Cineasten - er deutete auf die Tür, hinter der Strelow wartete - zu einem hochmodernen Tonfilmkino umbauen wolle. Wer die Leiche ins Kino gebracht haben könne? - Riedel hatte keine Ahnung. Keine Einbruchsspuren an den Zugängen - Böhm bat den Makler um eine Liste aller Leute, die einen Schlüssel für das Luxor besaßen.
Während Böhm die beiden Männer befragte, hing Rath eigenen Gedanken nach. Die Straßenkreuzung, an der Vivian Franck vor knapp vier Wochen von jenem Unbekannten abgeholt worden war, lag nur wenige Häuserblocks entfernt. War die Schauspielerin freiwillig zu ihrem Mörder gefahren? Jener ominöse Unbekannte, der sie auf der Straße erwartet hatte?
»Herr Kommissar!«
Rath schreckte aus seinen Gedanken. Böhms Stimme. Das erste Mal an diesem Morgen, seit er ihn mit einem knappen »Rath, Sie kommen auch mit!« in seine Ermittlungsgruppe geholt hatte, sprach der Oberkommissar ihn an.
»Herr Kommissar, überprüfen Sie doch bitte schon mal, ob die Frau irgendwelche Angehörigen in der Stadt hat, die ihre Leiche identifizieren könnten.«
»Jetzt?«
»Was denken Sie denn? Wir ermitteln hier in einern Mordfall, lieber Mann!«
»Dann müsste ich aber zurück ins Präsidium ... «
»Sehr scharfsinnig.« Böhms Gesicht blieb ungerührt. »Und wenn Sie das erledigt haben, fahren Sie raus und überbringen die Todesnachricht. Ziehen Sie meinetwegen den Kollegen Lange von der Winter-Gruppe ab, der ist der Richtige für so etwas.«
»Und wie soll ich jetzt zum Alex kommen? Ohne Auto?« »Bin ich Ihr Chauffeur?«
Zum ersten Mal seit ewigen Zeiten musste Rath wieder U-Bahn fahren. Er ärgerte sich. Warum hatte Böhm ihn überhaupt mitgenommen, wenn er ihn am Tatort nur in der Gegend herumstehen ließ und nach einer Dreiviertelstunde wieder in die Burg zurückschickte? Die Fahrt vorn Fehrbelliner Platz zum Alex dauerte fast eine halbe Stunde, aber wenigstens musste er nicht umsteigen. Das war seine alte Strecke, vorbei am Nürnberger Platz. Er musste an seine ersten Wochen in Berlin denken. Und an eine Fahrt zusammen mit Charly. Rath schaute aus dem Fenster, durch sein Spiegelbild hindurch in die Schwärze, und sortierte seine Gedanken, getragen vorn Ruckeln und Rattern der Bahn.
Vivian Franck war tot.
Aus seinem Privatauftrag war ein offizieller Fall geworden.
Er hatte kein großes Interesse daran, dass Böhm von seinen Beziehungen zu Oppenberg erfuhr. Irgendwie musste er der Bulldogge seine privaten Vorarbeiten als frisch erworbene Erkenntnisse verkaufen. Und dabei gleichzeitig ein paar Fleißkärtchen sammeln. Er musste Oppenberg so schnell wie möglich sprechen und auch den Taxifahrer, musste sie sozusagen in die offiziellen Ermittlungen einfädeln. Vorhin in der Telefonzelle am U-Bahnhof hatte er beide noch nicht an die Strippe bekommen. Oppenberg war mal wieder in Babelsberg und Ziehlke mit seinem Taxi unterwegs. Wenigstens Erika Voss hatte Rath kurz mit ein paar Aufträgen impfen können.
Als er ins Büro kam, hatte sie immerhin schon herausgefunden, dass Vivian Franck keine Familienangehörigen in Berlin besaß. Rath lernte seine Sekretärin immer mehr schätzen. Sie entwickelte zwar keinerlei Eigeninitiative, aber das, was man ihr auftrug, erledigte sie sorgfältig. Die Unterlagen aus dem Passamt zeigten, dass die tote Schauspieler in aus Breslau stammte. Die Voss hatte auch schon im dortigen Polizeipräsidium angerufen und wartete auf weitere Informationen über die Familie Franck.
Wie es aussah, war der Mensch, der Vivian Franck in Berlin am nächsten gestanden hatte, derjenige, den Rath ohnehin aufsuchen wollte: Manfred Oppenberg.
Bevor er sich auf den weiten Weg nach Babelsberg machte, schloss Rath die Tür und rief noch einmal in der Taxizentrale an, aber die Taxifritzen hatten Ziehlke immer noch nicht aufgetrieben. Kaum hatte er aufgelegt, klopfte es, und Erika Voss schaute
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