Der stumme Tod
starke Übersäuerung des Blutes ergeben. Das ist bei Toten normal, allerdings waren die Werte in diesem Fall ungewöhnlich hoch ... «
»Nun kommen Sie schon zur Sache, Doktor! Sie haben doch eine Vermutung!«
»Aber wirklich nur einen Verdacht. Weil ich keine andere Erklärung habe.« Karthaus räusperte sich, bevor er weitersprach. »Es könnte sein, dass sie an Hypoglykämie gestorben ist. Beweisen lässt sich das allerdings nicht.«
»Nie gehört«, meinte Gennat. »Was ist das?« »Eine extreme Unterzuckerung des Blutes.« »Und die kann tödlich sein?«
»Durchaus. Allerdings tritt dies eigentlich nur bei Diabetikern auf, die ihre Krankheit mit Insulininjektionen behandeln. Ist die Insulindosis zu hoch oder wird dem Körper nicht genügend Zucker zugeführt, kann es zu einer Unterzuckerung kommen.«
»War die Fastré Diabetikerin?«, fragte Gennat.
Karthaus schüttelte den Kopf. »Ich habe mir die Unterlagen ihres Hausarztes kommen lassen, von dem hat sie sich vor Kurzem noch untersuchen lassen. Sie war kerngesund. Nicht einmal Drogen hat sie genommen. Aber dennoch sind da diese Einstichstellen - bei genauerem Hinsehen habe ich gleich mehrere gefunden, subkutane Injektionen, nicht so leicht zu entdecken.«
Gennat nickte. »Aber dieses Zeug da ... « »Insulin ... «
» ... das nehmen nur Diabetiker?«
»So ist es.« Karthaus nickte. »Hat schon vielen das Leben gerettet. Wenn Sie erlauben, möchte ich eine kleine Theorie aufstellen.«
Gennat grinste. »Na endlich lassen Sie die Katze aus dem Sack, Doktor«, sagte er.
»Jemand hat ihr mehrere Spritzen mit Insulin gesetzt, entweder gegen ihren Willen oder ohne ihr Wissen.« Der Gerichtsmediziner machte eine Pause und beobachtete die Reaktion der Polizisten. »Subkutane Injektionen, wie gesagt«, fuhr Karthaus fort. »Also ins Unterhautfettgewebe, wo der Wirkstoff langsam in den Blutkreislauf dringt. Diese Injektionen hat sie über mehrere Tage bekommen.«
»Ohne ihr Wissen«, murmelte Gennat nachdenklich.
Karthaus nickte. »Allerdings konnte mir ihr Hausarzt kein Medikament nennen, das sie spritzen musste, dürfte also schwierig gewesen sein, sie da irgend wie reinzulegen. Dann wohl doch eher gegen ihren Willen, obwohl ich keine Spuren von Gewalteinwirkung gesehen habe. Jedenfalls war die letzte Dosis so hoch, dass sie zum Tode führte, die Frau muss langsam, aber sicher in einen Insulinschock geschaukelt sein. Und hat dann offensichtlich keinen Zucker mehr bekommen.«
»Zucker?«
»Das Einzige, was ihr Leben noch hätte retten können, als sie das Insulin erst einmal im Körper hatte.«
Nach einer guten halben Stunde musste Rath schon wieder aufbrechen. Böhm und Gennat blieben noch, um Grunwald, den Produzenten der Fastré, zu empfangen, der die Leiche identifizieren sollte. Rath kam gut durch den Verkehr und stieg schon um zehn vor drei im Lichthof aus dem Wagen. Kirie begrüßte ihn stürmisch, als er das Büro betrat. Wenigstens einer, der ihn noch mochte. Rath hockte sich hin und tätschelte den Hund, der ihm im Überschwang den Hut vom Kopf stieß und sogleich Jagd auf den grauen Filz machte. Nur mit Hilfe von Erika Voss und ein paar hinterlistigen Tricks gelang es ihm, den Hut zurückzubekommen, bevor er völlig aufgeweicht war.
»Irgendwelche Anrufe?«, fragte er, als er den leicht verbeulten und angespeichelten Filz an den Haken hängte.
Erika Voss griff nach einer Liste, die auf ihrem Schreibtisch lag. »Ihr Herr Vater hat angerufen. Will sich noch mal melden. Dann eine Dame, die ihren Namen nicht nennen wollte, wohl etwas Privates ... « Bei diesen Worten schaute sie ihn erwartungsvoll an, aber Raths Gesichtszüge blieben so unbeweglich, als seien sie in Marmor gemeißelt. »Und Frau Kling hat angerufen und uns noch einmal an den Fünfzehn-Uhr-Termin erinnert. Worum geht es da eigentlich? Was hat der Polizeipräsident mit Ihnen zu besprechen?«
»Wenn ich das wüsste ... « »Ist es wegen Brenner?«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ich drücke Ihnen jedenfalls die Daumen.«
Rath ahnte, dass mittlerweile das ganze Präsidium von seinem Zusammenstoß mit Brenner und dessen Folgen wissen musste. Die Gerüchteküche in der Burg funktionierte hervorragend, und die Kantine war sozusagen ihr Schnellkochtopf. Erika Voss verbrachte ihre Mittagspause immer in der Kantine. Am Essen allein konnte das nicht liegen.
Bevor er zu Zörgiebel hinaufging, kippte Rath sich im Waschraum ein paar Liter Wasser ins Gesicht, um wieder frisch zu
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