Der stumme Tod
werden. Er brauchte jetzt einen klaren Kopf, keine Wutattacken, die sich dann womöglich gegen Brenner richteten. Haltung bewahren, dann würde schon alles gut gehen. Er stellte sich vor den Spiegel und kämmte seine nass gewordenen Haare wieder in Form. Sah eigentlich ganz passabel aus, der Mann, der da aus dem Spiegel schaute. So ein übler Kerl konnte das gar nicht sein, das müsste auch der Polizeipräsident einsehen.
Brenner saß schon in Zörgiebels Vorzimmer, als Rath das Büro des Polizeipräsidenten betrat. Der Kommissar hielt die Zeitschrift, die er von dem kleinen Beistelltisch genommen hatte, unbeholfen in der linken Hand, mit der rechten in der Schlinge war Umblättern gar nicht so einfach. Die Pflaster im Gesicht wirkten etwas übertrieben, wie Rath fand. Er setzte sich so weit weg von Brenner wie nur möglich. Zörgiebel war offensichtlich noch beschäftigt, die ledergepolsterte Tür zum Allerheiligsten jedenfalls war geschlossen. Rath betrachtete interessiert die alten Berliner Stadtansichten an den Wänden und versuchte, den direkten Augenkontakt mit Frank Brenner möglichst zu vermeiden. Dagmar Kling tippte ungerührt, während die Männer sich anschwiegen. Das Fallbeil, wie Zörgiebels Sekretärin genannt wurde, hatte in diesem Büro mit Sicherheit schon Schlimmeres erlebt als zwei verfeindete Kriminalkommissare, die sich geprügelt hatten.
Das Telefon klingelte, und Dagmar Kling hob ab. Sie sagte kein Wort, hörte nur zu und legte wieder auf.
»Der Herr Polizeipräsident kann die Herren jetzt empfangen«, sagte das Fallbeil.
Brenner war sofort aufgesprungen, und Rath ließ ihm den Vortritt. Dann merkte der Übereifrige jedoch, dass es gar nicht so einfach war, die massive gepolsterte Doppeltür nur mit der linken Hand zu öffnen. Rath kam ihm nicht zu Hilfe, auch nicht, als Dagmar Kling ihn vorwurfsvoll anschaute, wie er sich einbildete - wobei sie eigentlich immer vorwurfsvoll schaute -, er wartete, bis Brenner das Problem irgendwie gelöst hatte, erst dann folgte er ihm in gehörigem Abstand.
Zörgiebel war nicht allein im Raum. Der Polizeipräsident saß an einem blank gewienerten Schreibtisch mit lederner Schreibunterlage. Und davor, auf einem von drei Ledersesseln, saß Kriminalrat Brückner, der Chef des Betrugsdezernats. Die Falle über Brenner war zugeschnappt, wie Rath zufrieden bemerkte, und der Kommissar ahnte noch immer nichts davon. War wohl die letzten Tage nicht mehr bei seinem Arzt gewesen. Devot lächelnd reichte Brenner erst Zörgiebel, dann Brückner seine Linke und setzte sich. Rath war froh, dass nicht Bernhard Weiß diese Aussprache leitete, das wäre ein schwererer Brocken gewesen, aber bei Zörgiebel hatte er keine Bedenken.
Der Polizeipräsident hielt sich nach den Begrüßungsfloskeln nicht mit langen Vorreden auf. »Meine Herren, Sie wissen, warum Sie hier sitzen«, sagte er, »also kommen wir gleich zur Sache: ein Zwischenfall, der sich am Abend des ersten März im Vergnügungslokal Residenz Casino ereignete. Kommissar Rath, Sie sollen Kommissar Brenner mehrfach geschlagen haben. Was haben Sie dazu zu sagen?«
Rath setzte eine schuldbewusste Miene auf, bevor er begann. »Ich habe Kommissar Brenner geschlagen, und es tut mir leid«, sagte er. »Aber es ist mir ein Rätsel, wie er sich solch schwere Verletzungen hat zuziehen können, ich habe zweimal hingelangt, aber so fest können meine Schläge nicht gewesen sein, ich bin doch nicht Max Schmeling.«
»Darüber wird noch zu reden sein«, meinte Zörgiebel nur. »Es tut Ihnen also leid, dass Sie Kommissar Brenner geschlagen haben.«
Der Polizeipräsident räusperte sich. »Dann möchte ich Sie bitten aufzustehen. Geben Sie dem Kommissar die Hand und entschuldigen Sie sich in aller Form für Ihr Fehlverhalten, das eines preußischen Polizeibeamten völlig unwürdig ist.«
Rath tat brav, was der Polizeipräsident verlangte. Er stand auf und streckte Brenner die Rechte entgegen, und der hätte fast die Hand in der Schlinge ausgestreckt, nahm dann aber doch die Linke, und auch Rath wechselte seine Hand.
»Ich bitte Sie vielmals um Entschuldigung, Kollege Brenner«, sagte er. »So etwas soll nicht wieder vorkommen.«
»Gut«, sagte Zörgiebel, nachdem Rath sich wieder gesetzt hatte, »damit wäre diese unangenehme Sache aus der Welt! Kommissar Rath, ich möchte Sie noch einmal darauf hinweisen, dass ein preußischer Polizeibeamter in der Öffentlichkeit stets ein hundertprozentig korrektes Verhalten an den
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