Der stumme Tod
nicht, aber der Inhaber des Chinahauses in der Kantstraße konnte sich an Betty Winter erinnern. Dennoch scheint die Sache, so seltsam sie auch anmutet, irgendwie ins Leere zu laufen. Vivian Franck nämlich hat mit Yangtao definitiv nichts zu tun, sie hat chinesisches Essen überhaupt nicht angerührt, wie ich eben erfahren habe. Andererseits wurde sie direkt vor einem Chinarestaurant von diesem Unbekannten
erwartet. «
Trudchen Steiner kam mit Kaffee und Kuchenteller. »Bedienen Sie sich«, meinte Gennat.
Rath schaute sich die schon reichlich geplünderte, aber immer noch üppige Kuchenplatte an. Das letzte Stück Stachelbeertorte ließ er für Gennat stehen, den Lieblingskuchen des Buddha, stattdessen schaufelte er ein Stück Käsekuchen auf seinen Teller.
»Na«, sagte Böhm, der seinen Nusskuchen inzwischen verdrückt hatte, »dann können wir den Blödsinn mit diesen chinesischen Stachelbeeren ja ad acta legen. Hab das gleich für Mumpitz gehalten.«
Gennat schob sich ein Stück Kuchen mit deutschen Stachelbeeren auf seinen Teller. »Kollege Rath hat ja selbst Zweifel angemeldet«, sagte er, »aber vom Tisch ist die Sache meines Erachtens noch nicht. Da bleibt dieser seltsame Zufall ... «
»Genau! Zufall«, polterte Böhm. »Die Fälle Winter und Fastré haben nichts miteinander zu tun!«
» ... dieser seltsame Zufall«, fuhr Gennat ungerührt fort, »und bei solchen Zufällen habe ich immer ein ungutes Gefühl.«
»Wir sollten uns um Fakten kümmern, nicht um Gefühle«, meinte Böhm. Er schien noch schlechtere Laune zu haben als sonst.
»Wir sammeln Fakten, aber von solchen Ahnungen sollten wir uns ruhig leiten lassen und unseren Instinkten vertrauen«, sagte Gennat, »die Hälfte meiner Fälle hätte ich nicht gelöst, wenn ich mich auf stures Faktensammeln beschränkt hätte.«
»Von sturem Faktensammeln habe ich auch nicht gesprochen«, maulte Böhm. »Wir sollten nur nicht allzu wilden Theorien nachhängen.«
»Wenn Sie damit auf die Inszenierungstheorie des Kollegen Rath anspielen«, erwiderte Gennat, »dann muss ich Ihnen sagen, dass das für mich von allen Überlegungen, die die Kollegen heute Morgen angestellt haben, noch die plausibelste ist. Wir haben es mit einem Täter zu tun, der Inszenierungen liebt, vielleicht kommt er vom Theater oder vom Film - das würde auch seine Vorliebe für Schauspielerinnen erklären.« Der Buddha aß eine Gabel Stachelbeertorte, bevor er weitersprach. »Wenn der Mörder uns mit seinen Morden und der Art und Weise, wie er uns seine Opfer präsentiert, etwas sagen will, dann müssen wir ein paar Fragen beantworten, um seine Botschaft zu entschlüsseln: Warum liegen die Leichen gerade in diesen Kinos, warum liegen sie überhaupt in Kinos? Warum sind es Filmschauspielerinnen, und warum entfernt er ihnen die Stimmbänder? Warum tötet er sie, macht ihre Leichen dann aber aufs hübscheste zurecht, schminkt sie und zieht ihnen feine Kleider an, parfümiert sie sogar?«
»All diese Fragen müssten wir so oder so beantworten«, wandte Böhm ein, »ob das Ganze nun eine Inszenierung darstellen soll, wie Sie glauben, oder nicht.«
»Dann sind wir uns ja einig, Böhm«, sagte Gennat.
»Jedenfalls behandelt er seine Opfer nach deren Tod besser als vorher«, meinte Rath. Es war mehr ein lautes Nachdenken, aber der Buddha hörte aufmerksam zu. »Für mich sieht es so aus, als habe er sie gleichermaßen geliebt und gehasst.«
Gennat nickte zustimmend und wandte sich wieder seinem Kuchen zu.
»Lassen wir die Kinomorde doch mal für einen Moment beiseite«, meinte er schließlich, »und wenden uns dem Fall Winter zu. Da haben Sie beide ja noch etwas gutzumachen. Hätten Sie beide da besser zusammengearbeitet, meine Herren - und ich möchte jetzt keine Ausreden hören, von keinem von Ihnen -, dann wären wir da womöglich schon weiter.« Er zog ein sorgfältig gefaltetes Papier aus seinem Jackett. »Die Durchsuchungsanordnung für die Büroräume der La Belle Film und die Privaträume von Heinrich Bellmann«, sagte er und wedelte mit dem Papier. »Ich möchte, dass Sie beide die Aktion leiten. Sie fahren heute noch raus, ein Trupp Bereitschaftspolizisten steht schon bereit.«
Rath und Böhm fühlten sich gleichermaßen überrumpelt und schauten sich erschrocken an. Sie mussten sich zusammenraufen, der Buddha wollte es so, daran führte kein Weg vorbei.
Sie konnten nicht einmal getrennt arbeiten, die Geschäfts- und die Privaträume Heinrich Bellmanns hatten ein und
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