Der stumme Tod
sei Ihr Verdächtiger tatsächlich untergetaucht.«
Samstag,
1. März 1930
Kapitel 7
Rath war todmüde, als er sich endlich das Treppenhaus am Luisenufer hinaufschleppte. Mit Gennats Segen hatte er die
Fahndung nach dem flüchtigen Krempin verstärkt; morgen würde jedes Polizeirevier in Berlin ein Foto von dem Mann bekommen, im Fotolabor des ED schoben sie gerade eine Nachtschicht, um einen Ausschnitt von Bellmanns Weihnachtsfeierfoto zu vervielfältigen. Felix Krempin schien sich tatsächlich abgesetzt zu haben. Welchen Grund es auch geben mochte, einen zentnerschweren Scheinwerfer auf eine zierliche Schauspielerin fallen zu lassen, der Produktionsleiter der Montana hatte ihn offensichtlich gehabt.
Bellmanns Verdächtigungen erschienen Rath in diesem Zusammenhang recht plausibel, auch wenn dem Produzenten in erster Linie daran gelegen sein durfte, der Montana-Film Schwierigkeiten zu machen. Er schaute auf die Uhr. Halb eins. Viel Schlaf würde er nicht mehr bekommen, bei der Montana wollte er so früh wie möglich auf der Matte stehen.
Er hielt den Schlüsselbund bereits in der Hand, um die Wohnungstür aufzuschließen, als ihm klar wurde, was ihn hinter dieser Tür erwartete.
Kathi.
Die Hand mit dem Schlüsselbund hielt inne, als habe jemand die Zeit angehalten.
Er konnte sich doch nicht einfach neben sie legen und so tun, als sei alles wie immer! Für einen Moment hatte er den Gedanken, auf dem Absatz kehrtzumachen, zum Schlesischen Tor zu fahren und bei Gräf auf dem Sofa zu übernachten. Er könnte dem Kriminalsekretär weismachen, er habe seinen Schlüssel verloren, und ihn um vorübergehendes Obdach bitten. Dann schalt er sich selbst einen Feigling und drehte den Schlüssel im Schloss, überrascht, wie laut das war. Leise zog er die Tür wieder zu und schlich durch den Flur zur Wohnzimmertür, ohne Licht zu machen. Auch dort schloss er die Tür und tastete sich bis zu seinem Sessel. Direkt daneben stand die Stehlampe, schnell hatte er den Schalter gefunden. Ein Klick, und die Lampe warf ihr schummriges Licht in den Raum. Er legte Hut und Mantel über den zweiten Sessel. Die Gläser hatte sie abgeräumt, aber die Cognacflasche stand noch auf dem Tisch. Rath holte ein neues Glas aus dem Schrank, ließ sich in den Sessel fallen und schenkte ein. Wie bescheuert du doch bist, dachte er, schleichst hier herum wie ein Einbrecher, benimmst dich wie ein Fremder in der eigenen Wohnung! Dann spülte er diese Gedanken mit dem Cognac hinunter. Das tat gut. Gleich noch einen. Er würde erst zu Kathi ins Bett gehen, wenn er das Gefühl hatte, genug zu haben.
Auch sein Gegenüber, unscharf und verschwommen in der warmen gelben Lichtinsel zu erkennen, die in der Fensterscheibe glänzte, hob das Glas. "Prost!«, murmelte er seinem Spiegelbild zu, der einzigen Gesellschaft, die er jetzt ertragen konnte.
Er zuckte zusammen, fuhr hoch aus seinem Sessel, erschrocken von seiner eigenen Schläfrigkeit. Hatte er schon geschlafen oder war er nur weggenickt? Jedenfalls hatte er irgendein Geräusch gehört. Das Glas musste ihm aus der Hand gefallen sein, es lag neben dem Sessel auf dem Teppich, glücklicherweise hatte er es schon geleert. Er musste tatsächlich schon eine Weile geschlafen haben; seine Zunge schmeckte wie ein ausgewrungener Putzlappen.
Rath stand auf und stolperte zur Tür, er brauchte ein Glas Wasser.
Erst im Gehen merkte er, wie viel er schon getrunken haben musste. Er schaffte es bis in die Küche, ohne allzu großen Lärm zu machen, schaffte es, ein Glas aus dem Schrank zu holen und unter den Wasserhahn zu halten. Er ließ das kalte Wasser noch eine Weile über seine Hände strömen, bevor er den Hahn wieder zudrehte, das tat gut. Er trank das Glas in einem Zug leer und hielt es wieder unter den Hahn.
Den Zettel sah er erst, als er mit dem Wasserglas schon auf dem Weg zur Tür war. Er lag mitten auf dem Tisch, ein kleines Blatt Papier aus ihrem Spiralblock, der Block, den sie auch für ihre Einkaufszettel benutzte. Rath war überrascht, er nahm den Zettel und las.
Tut mir leid, mein Schatz, las er, und er spürte, wie sich ihm bei diesen Worten der Magen verkrampfte, aber ich hab's nicht mehr ausgehalten. Ich fühl mich so allein in dieser Wohnung, wenn Du nicht da bist. Ist wirklich nicht einfach, einen Polizisten zu lieben, aber ich habe mich fast daran gewöhnt. Fast. Heute wird's wohl nichts mehr mit uns beiden. Hab ein Taxi gerufen und bin zu meiner Schwester gefahren, die braucht jemanden zum
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