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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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zurück in seine müden Knochen. Er hatte kaum geschlafen in der Nacht und zu viel getrunken. Beim Weckerklingeln hatte er dennoch so etwas wie Erleichterung gespürt. Weil er es geschafft hatte, die Nacht hinter sich zu bringen.
    Eine dieser Nächte.
    Eine dieser Nächte, in denen er geradezu panische Angst vor dem Schlaf hatte. Weil er wusste, dass die Träume wiederkehren würden. Die Träume, die ihn immer wieder heimsuchten. Es gab Wochen, da hatte er sie fast vergessen, Nächte, in denen er tief und ruhig schlief, doch dann, unerbittlich und so sicher wie die Jahreszeiten, kehrten sie zurück. Er wusste immer, wann es wieder so weit war. Weil er so aufgekratzt war, dass er nicht schlafen konnte, nicht schlafen wollte. Weil er nur die Augen schließen musste, um sie zu sehen: die Dämonen, die ihn verfolgten, tote Menschen, Menschen, die er kannte, Menschen, die er gekannt hatte. Leichenblasse Menschen, mit durchlöcherter Brust, mit leeren Augenhöhlen, mit Hautfetzen, die vom Körper hingen wie ein mottenzerfressener Umhang. Immer wieder schreckte er hoch, Schweiß auf der Stirn, versuchte sich abzulenken, las, nahm noch einen Schluck aus der Flasche, doch irgendwann fiel er endgültig in den Schlaf und war seinen Bildern ausgeliefert. Sie verfolgten ihn. So sehr ihn die lebenden Menschen mieden und ihn immer wieder zu fliehen schienen, so sehr liefen ihm die toten nach. Wenn er dann aufschreckte, mit pochendem Herzen und schweißnassem Pyjama, war er dankbar für das Erwachen, auch wenn er sich tausendmal müder und erschöpfter fühlte als vor dem Einschlafen. Nur mit kalten Duschen und starkem Kaffee konnte er die Lebensgeister in seinen Körper zurückprügeln.
    Und dann hatte die blonde Sekretärin diesen Namen genannt. Oppenberg.
    Er hatte sich nicht anmerken lassen, wie sehr ihn dieser Name erschreckt hatte.
    Manfred Oppenberg.
    Der Mann, der ihn in ein illegales Lokal am Ostbahnhof gelotst hatte. Der Filmproduzent mit der nymphomanischen Begleiterin. Nicht einmal ein Jahr lag das zurück. Die Nacht, in der alles aus dem Ruder gelaufen war. An deren Ende ein weiterer Toter stehen sollte, der seither durch seine Träume geisterte.
    Oppenberg war eine Bekanntschaft, die Rath am liebsten vergessen hätte. Dass er ihm ausgerechnet in dieser Sache wieder über den Weg laufen musste!
    Wenigstens war er allein unterwegs. Er hatte sich heute nicht am Alex blicken lassen, um Böhm aus dem Weg zu gehen, der spätestens bei seiner Zeitungslektüre am Frühstückstisch gemerkt haben musste, dass er Rath versehentlich auf einen spektakulären Fall angesetzt hatte. Er hatte seine Leute aus dem Bett geklingelt und vom Wohnzimmersessel aus per Telefon instruiert, Henning und Czerwinski nach Marienfelde geschickt, wo sie den Rest der Bellmann-Belegschaft befragen sollten, alle, vom Produzenten bis zur Klofrau, und Gräf zu Doktor Schwartz in die Hannoversche Straße. Das musste er sich nach dieser Nacht nicht selbst zumuten. Die Vorstellung der entstellten Betty Winter auf dem Obduktionstisch ... Rath hätte das Leichenschauhaus heute kaum ertragen, den Geruch nach Blut und Desinfektionsmitteln und Schlimmerem. Und schon gar nicht den Humor von Doktor Schwartz.
    Trotz seiner Müdigkeit fühlte er sich gut. Allein konnte er eben einfach am besten arbeiten! Gennats Worte fielen ihm ein: Teilen Sie Ihre Erkenntnisse lieber mit uns.
    Später.
    Die Straßen im Westen waren gut ausgebaut, die Kaiserallee hinunter konnte er Gas geben. Auf der Reichsstraße wurde der Verkehr wieder etwas dichter, aber je weiter sie stadtauswärts führte, desto schneller kam er voran. Rath war überrascht: Dort wo Berlin in die Landschaft ausfranste, wurde die Stadt geradezu idyllisch, selbst an solch einem tristen Tag wie heute, wo Regentropfen vom kahlen Geäst fielen und aufs Autodach klopften. Fast eine Landpartie.
    Irgendwo am Wannsee bog er links von der Reichsstraße ab und gelangte über Kohlhasenbrück nach Neubabelsberg.
    Er parkte den Buick an der Stahnsdorfer Straße und schaute sich um. Der Eingang zum Filmgelände sah aus wie der zu einer Fabrik, flankiert von zwei Torhäusern mit Pförtnerloge, gesichert durch eine Schranke. Das hier war deutlich größer als die Terra in Marienfelde. Ein uniformierter Pförtner schaute sich das Passfoto auf dem Dienstausweis genau an, Rath fragte nach dem Weg.
    Der Pförtner zeigte irgendwo ins Gelände. »Gehen Se mal hier lang am Glashaus vorbei und dahinten durch die Werkstätten, da kommen

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