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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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steht immer noch da, die einzige Konstante in seinem Leben, das einzig Bleibende. Er schüttelt den Kopf, und der alte Diener verlässt schweigend den Raum.
    Er faltet die Zeitung zusammen, wie er es immer macht.
    Für einen Moment, einen kurzen Moment nur, möchte er ein ganz anderer sein, in einer anderen Welt, so wie in den langen Abenden vor der Leinwand, doch die Wirklichkeit lässt ihn nicht fort, diesmal nicht.
    Vielleicht doch nur ein Traum? Wer entscheidet denn, was Wirklichkeit ist und was Traum?
    Der Schmerz bohrt sich in sein Herz, Traum oder Wirklichkeit, schon lange macht das keinen Unterschied mehr.
    Betty Winter von Scheinwerfer erschlagen.
    Und dann, ganz groß, sieht er das eine Wort, das Wort mit dem Fragezeichen.
    Sabotage?
    Sein Schmerz verwandelt sich in Wut, in grenzenlose Wut, die kein Ziel findet. Er greift zu der sorgsam gefalteten Zeitung und zerfetzt das Papier, reißt es in kleine und kleinste Fetzen, die um ihn herumwirbeln wie zu groß geratene Schneeflocken.
    Wer hat ihm das angetan? Wer?
    Er hat sie doch geliebt!

Kapitel 9
    Das Montana-Büro lag am teureren Ende der Kantstraße. Die blonde Frau, die ihn eingelassen hatte, bedeutete ihm mit wedelnden Händen und einem tiefgekühlten Zwinkern, sich zu setzen, während sie weiterhin ohne Punkt und Komma ins Telefon schnatterte. Rath nahm in einem der modernen Ledersessel Platz, die vor dem Schreibtisch zu einer kleinen Sitzgruppe arrangiert waren, und hörte ihr gezwungenermaßen zu.
    ». .. natürlich können Sie unsere Sprechfilme auch mit den amerikanischen Geräten abspielen; Sie sind dann allerdings zur Zahlung einer kleinen Lizenzgebühr verpflichtet, die Sie selbstverständlich ... «
    Ihr Gesprächspartner hatte es offensichtlich endlich geschafft, auch einmal das Wort zu ergreifen. Mit offenem Mund hörte die Blondine zu, lauerte auf eine Gelegenheit und - schnapp - legte sie wieder los.
    »Aber natürlich! Wir lassen Ihnen die Kopien dann zusammen mit den nötigen Papieren zuschicken, Sie müssen nur noch unterschreiben, das ist überhaupt kein Problem; der Rest läuft dann automatisch, ich werde alles Nötige veranlassen, Sie hören dann von uns, auf Wiederhören!«
    Sie legte auf und lächelte Rath an. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie.
    Rath wartete einen Moment, weil er mit einem erneuten Redeschwall rechnete, doch mehr als diese sechs Worte kamen nicht. »Ich«, begann er, »möchte den Geschäftsführer sprechen.« »In welcher Angelegenheit?«
    Rath zückte seine Marke. »Kriminalpolizei.« » Vermisstendezernat ? «
    »Nein, Mordkommission.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch. »Tut mir leid, aber Herr Oppenberg ist noch nicht in seinem Büro.«
    »Und wann ist mit ihm zu rechnen?«
    Sie zuckte die Achseln. »Das kann dauern. Zur Zeit fährt er immer direkt zum Dreh raus, da ist im Moment so viel zu regeln, jeden Tag muss der Drehplan geändert werden, weil das liebe Fräulein Franck ... «
    »Wo wird denn gedreht?«, unterbrach Rath, bevor sie wieder in
    Fahrt kam.
    »In Neubabelsberg. Aber da können Sie jetzt nicht raus.« »Ich habe ein Auto.«
    »Das sind Sprechfilmaufnahmen, da darf niemand stören.« »Die Polizei darf.«
    »Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen.«
    »Das ist nett von Ihnen, aber ich muss mit Ihrem Chef persönlich sprechen«, sagte er. »Wo finde ich ihn in Babelsberg?«
    »Bei der Ufa. In der großen Halle. Nordatelier. Gleich neben dem Tonkreuz.«
    »Gehört die Montana zur Ufa?«
    Sie lachte. »Gott bewahre! Aber die große Ufa ist so gnädig, uns ihre Ateliers zu vermieten. Jetzt wo Pommer den neuen Jannings Film abgedreht hat, stehen einige Ateliers leer. Aber wie ich schon sagte: Sie können nicht bei den Dreharbeiten stören!«
    »Sie werden sicher so freundlich sein und mein Kommen ankündigen«, sagte Rath, »dann störe ich auch nicht.«
    Ihr war anzusehen, dass es ihr nicht passte, dennoch lächelte sie ihn an, als sie zum Hörer griff.
    »Mal sehen«, sagte sie. »Vielleicht wird Herr Oppenberg fünf Minuten Zeit aufbringen können. Aber versprechen kann ich Ihnen nichts.«
    Rath erhob sich aus dem Sessel, setzte seinen Hut auf und tippte kurz an die Krempe.
    »Sie müssen mir nichts versprechen«, sagte er lächelnd und verschwand nach draußen. »Sagen Sie Herrn Oppenberg, ich bin in einer guten halben Stunde da.«
    Er klappte das Seitenfenster hinunter und ließ sich den Fahrtwind ins Gesicht wehen. Rath sog die frische Luft ein wie eine Droge, der Wind pustete das Leben

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