Der stumme Tod
Techniktüftler sie tatsächlich gebaut hatte, um Bellmanns Dreharbeiten zu sabotieren.
Er hatte es gewusst in dem Augenblick, in dem er den Donner hörte, dennoch hatte er sich alles noch einmal von Dressler und seinem Kameramann erklären lassen: Am Freitagmorgen hatte die Hauptkamera an genau derselben Stelle gestanden, an der wenige Stunden später Betty Winter sterben sollte. Ein Kreuz auf dem Parkett markierte die Stelle, Dressler hatte sie ihm gezeigt. » Da haben wir die Kamera für Bild neunundvierzig postiert«, hatte der Regisseur gesagt, »und gleichzeitig war das die Markierung für Betty in Bild dreiundfünfzig. «
Bild dreiundfünfzig war die Szene, die sie nicht hatten zu Ende drehen können. Die Szene, die Victor Meisner mit Eva Kröger hatte wiederholen müssen.
Für elf Uhr hatte der Schauspieler sich im Präsidium angekündigt, noch zehn Minuten. Rath hatte den Pförtner instruiert, Meisner gleich zum Vernehmungsraum B zu schicken, den er sich vorhin schon hatte reservieren lassen. Nicht gerade die übliche Umgebung für eine einfache Zeugenbefragung, in den Vernehmungsräumen wurden eher die harten Jungs in die Zange genommen, aber Rath wollte sich nicht in den Gängen der Inspektion A blicken lassen.
Nach dem Telefonat mit Gräf hatte er sich so seine Gedanken gemacht, wie er der unvermeidlichen Begegnung mit Böhm ein wenig die Schärfe nehmen könnte. Am besten mit Ergebnissen, mit einem umfassenden Bericht zu den bisherigen Ermittlungen im Fall Winter. Dann könnte er Böhms Anpfiff über sich ergehen lassen und der Bulldogge wortlos die Akte in die Hand drücken. Er überlegte, heute Abend eine Schreibmaschine mit nach Hause zu nehmen und den Papierkram dort bei ein paar Gläsern Cognac und ein paar schönen Platten zu erledigen. Ein angenehmer Gedanke, zu Hause und ungestört arbeiten zu können. Ungestört von Kollegen und Vorgesetzten.
Rath hatte den Vernehmungsraum erreicht, ohne einem einzigen Beamten der Inspektion A über den Weg zu laufen. Und auch sonst niemandem, der ihn kannte.
Brenner zum Beispiel.
Diese Ratte! Wollte ihm aus zwei Faustschlägen einen Strick drehen, das unschuldige Opfer spielen, misshandelt von einem Kollegen. Rath hätte sich wirklich nicht hinreißen lassen dürfen. Aber ... wie dieses Arschloch über Charly geredet hatte - Brenner konnte froh sein, so glimpflich davongekommen zu sein!
Rath breitete den Kram, den er mitgebracht hatte, auf dem Tisch aus und setzte sich. Dann zog er den Aschenbecher zu sich herüber und zündete sich eine Zigarette an. Er nutzte die Wartezeit und blätterte schon einmal im Drehbuch. Eigentlich waren es nur zwei, drei Seiten, die ihn interessierten, Bild dreiundfünfzig und Bild neunundvierzig, die beiden Szenen, die er auch auf Zelluloid hatte.
Der Effekt war in beiden Szenen ganz dick im Drehbuch vermerkt, es stand genau fest, an welchen Stellen es donnern sollte. Und jeder, der den Drehplan kannte, wusste, wer wann wo stehen würde.
Hatte Krempin sich das tatsächlich zunutze gemacht? Warum hatte seine Konstruktion dann morgens versagt und nachmittags funktioniert? In Bild neunundvierzig hatte der Effekthebel noch die Donnermaschine ausgelöst, also konnte der Draht erst nach dieser Szene mit dem Scheinwerfer verbunden worden sein. Wann hatte Krempin das Atelier verlassen? Dazu hatten Plisch und Plum widersprüchliche Angaben gesammelt. Nach zehn Uhr jedenfalls hatte ihn niemand mehr gesehen. Ungefähr zur gleichen Zeit hatte Dressler aber auch Bild neunundvierzig abgedreht. Da hatte der Donner noch funktioniert, die Sabotagekonstruktion mit dem Scheinwerfer konnte also erst danach aktiviert worden sein. Entweder hielt sich Krempin zu dieser Zeit doch noch im Atelier auf und hatte den Draht am Scheinwerfer befestigt - weil er es entgegen all seinen Beteuerungen doch auf Betty Winter abgesehen hatte -, oder aber jemand anders hatte seine Konstruktion entdeckt und nach Krempins Verschwinden für eigene Zwecke genutzt. Heinrich Bellmann zum Beispiel. Der Produzent war schnell über den Tod der Winter hinweggekommen, er schien ihm mehr Vor- als Nachteile eingebracht zu haben.
Rath hätte Krempin jetzt gerne hier vor sich sitzen gehabt, jede Menge sinnvolle Fragen hätte er ihm stellen können. Für Victor Meisner dagegen, der ihm gleich gegenübersitzen würde, fiel ihm keine einzige ein. Keine sinnvolle jedenfalls. Nur eine brannte ihm auf der Seele, aber die hatte eigentlich nichts mit den Ermittlungen zu tun: wie man
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