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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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sich reichlich dämlich vorkam. Vor allem, als der Mann am Schalter ihn fragte, ob er die Schreibmaschine zur Aufbewahrung abgeben wolle, und Rath verneinte.
    »Verstehe, Sie führen Ihren Liebling nur spazieren, wa«, sagte der Dienstmann. »Koofense Ihnen besser ne Leine, denn müssense nich so schleppen.«
    Rath verzog keine Miene. »Ich brauche eine Information«, sagte er und stellte die Schreibmaschine ab, um seine Marke zücken zu können.
    »Sieh mal an! Die Kriminalen jetzt mitten mobilen Büro unterwegs, wal Und de Janoven? Nehmense die Huckepack, wennse eenen fangen?«
    »Sie sollten im Variete auftreten, ein Witzbold wie Sie ... « »Sacht meene Ilse ooch immer.«
    » ... aber die Preußische Polizei ist dummerweise gänzlich humorlos. Sparen Sie Ihre dummen Witze also besser für das Bewerbungsgespräch im Wintergarten!«
    »Schon jut, schon jut. Is Humor neuerdings polizeilich verboten?«
    Rath zeigte dem Mann ein Foto von Vivian Franck. »Können Sie sich an diese Frau erinnern?«
    »Wer könnte det nich?« Die kleinen Augen hinter dem Tresen glänzten plötzlich. »Habse in Verrucht jesehen. Jöttlich! Det is doch die Franck, oder?«
    »Diese Dame muss hier vor gut drei Wochen mehrere größere Gepäckstücke abgegeben haben, genauer: am achten Februar, morgens gegen zehn. Ist das Gepäck inzwischen wieder abgeholt worden oder nicht?«
    »Det sind aber viele Fragen uff eenmal«, meinte der Dienstmann und überlegte. »Det war 'n Sonntach, oder? Da hatt ick keenen Dienst. Aber ick kann nachschaun, ob ick noch wat finde. Selten, dass etwas so lange liegen bleibt.«
    »Dann tun Sie das doch bitte.« »Kann aber 'n Moment dauern.« »Das macht mir nichts.«
    »Ihnen vielleicht nicht, aber der Kundschaft. Verstärkung krieg ich erst um zehne. «
    »Ich kümmere mich schon um die Leute, gehen Sie ruhig nachschauen.«
    »Na, ne Schreibmaschine hamse ja«, meinte der Dienstmann, »damit dürfte det Formulare ausfüllen wohl keen Problem darstellen.« Er schien noch einen Moment zu überlegen, vielleicht, ob ihm kein besserer Witz einfiel, winkte dann aber ab und verschwand durch eine Tür nach hinten in einem fensterlosen, neonbeleuchteten Raum. Auf dem Bahnhof war schon viel los, aber alles nur Pendler, von denen verirrte sich niemand zur Gepäckaufbewahrung. Nach fünf Minuten kehrte der Mann zurück. Ohne Gepäck- stücke, stattdessen mit einem Stapel Karteikarten, die er neben die Schreibmaschine auf den Tresen legte.
    »Det hier is allet, wat länger liecht als zwee Wochen. Woll'n mal schauen.«
    Er blätterte durch den Stapel und wurde tatsächlich fündig. »Hier isset. Achter Februar. Drei Gepäckstücke, abgegeben um neun Uhr vierundfünfzig. Nummer dreisiebennullsieben. Wird langsam teuer, det wieder auszulösen.«
    »Kann ich die Gepäckstücke mal sehen?«
    »Det jeht leider nicht« Der Mann setzte sein wichtigstes Gesicht auf. »Entweder hamse die Nummer dreisiebennullsieben oder einen richterlichen Beschluss, sonst bleibt alles am Platz. Vorschrift ist Vorschrift. «
    »Und wenn Sie einen Blick draufwerfen und mir kurz berichten ... «
    »Det is ja noch viel verbotener! Denkense etwa, wir rühren det Jepäck von unsere Kunden an?« Er schaute empört, aber dann wurde er wieder witzig und zwinkerte Rath zu. »Keene Bange, Herr Kommissar! 'ne Leiche wird schon nicht drinliegen in die Koffer, det würde man riechen, wa?«
    Rath sagte nichts, bedankte sich artig bei dem Mann und setzte sich in die Bahnhofsgaststätte. Noch genügend Zeit für eine Tasse Kaffee.
    Es gab nur Kännchen. Aber wenigstens sparte sich der Kellner eine Bemerkung über die Schreibmaschine, die auf dem Tisch stand, und hatte auch nichts gegen den Stapel Zeitungen einzuwenden, den Rath mit an seinen Platz genommen hatte. Es herrschte nur wenig Betrieb, kurz vor acht waren die meisten Berliner in Bewegung und hatten keine Zeit für einen Kaffee. Vor allem, wenn er in Kännchen serviert wurde.
    Hinter den kahlen Bäumen im Zoo schob sich die Sonne langsam um die Ecke. Es schien auch heute ein schöner Tag zu werden. Rath blätterte durch die Zeitungen. Die Wessel-Beisetzung war von einigen unschönen Szenen am Rande des Trauerzugs begleitet worden. Schlimmere Zwischenfälle waren aber ausgeblieben, obwohl die Kommunisten die Völkischen böse provoziert hatten. Gräf sei Dank hatte er sich das nicht antun müssen! Der Kriminalsekretär hatte in den letzten Tagen recht häufig den Kopf für seinen Chef hinhalten müssen, dachte

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