Der stumme Tod
darauf, wie Böhm einen unbotmäßigen Kommissar auseinandernehmen würde.
Rath erläuterte seine Theorie: Krempin habe die Drahtkonstruktion ausgetüftelt, um die Tonfilmkamera mit dem zentnerschweren Scheinwerfer zu zerstören, sei jedoch entdeckt worden. Deshalb habe er die Sache in letzter Sekunde entschärft und das Atelier Hals über Kopf verlassen. Jemand anders müsse sich seine Konstruktion zunutze gemacht und später wieder installiert haben.
Böhm ließ ihn tatsächlich ausreden. »Wie kommen Sie denn auf diese abstruse Idee?«, fragte er nur. Rath holte tief Luft, bevor er antwortete. »Ich dachte, das hätte ich hinreichend deutlich gemacht: Bild neunundvierzig wird kurz vor elf Uhr morgens gedreht, da funktioniert der Effekthebel noch und löst den Donner aus. Am Nachmittag desselben Tages jedoch, beim Dreh zu Bild dreiundfünfzig, löst derselbe Hebel den letzten Bolzen, der den Scheinwerfer noch hielt - den Mechanismus, den Kronberg eben erläutert hat. Felix Krempin kann es also nicht gewesen sein, der war um elf schon nicht mehr im Atelier.«
» Wie kommen Sie darauf?«
»Die Zeugenaussagen Lüdenbach und Krieg«, sagte Rath. »Unterstützt von einigen anderen, die Felix Krempin gegen zehn Uhr das letzte Mal im Atelier gesehen haben.«
»Da sind Sie wohl nicht auf dem neuesten Stand, Herr Kommissar«, sagte Böhm. »ln dieser Frage widersprechen sich sämtliche Zeugenaussagen, deshalb haben wir gestern im Atelier alle noch einmal zu genau dieser Frage vernommen, diesmal etwas gründlicher. Wären Sie pünktlich zu unserer Besprechung erschienen, dann hätten Sie das auch mitbekommen. Ihnen zuliebe wiederhole ich es noch einmal: Drei Zeugen räumen mittlerweile ein, Felix Krempin könne gegen Mittag noch im Atelier gewesen sein. Zu einer Zeit also, als alles schon für den Nachmittagsdreh eingerichtet war. Was ist nun mit Ihrer schönen Theorie?«
Darauf wusste Rath nichts zu erwidern. Er stand da wie der Klassenstreber, der gerade bei einer wichtigen Prüfung auf ganzer Linie versagt hat und vom enttäuschten Lehrer der schadenfrohen Klasse vorgeführt wird. Aber Böhm "beachtete ihn schon gar nicht mehr, er wandte sich den versammelten Kollegen zu.
»Meine Herren, Sie wissen, was Sie zu tun haben«, sagte er. »An die Arbeit!«
Lautes Poltern und leises Murmeln löste die Stille ab. Langsam leerte sich der Saal. Rath packte seine Sachen zusammen und wollte ebenfalls gehen, doch Böhm hielt ihn zurück.
»Wo wollen Sie hin?«
»An die Arbeit.«
»Welche Arbeit? Habe ich Ihnen schon eine Aufgabe übertragen?«
Rath sagte nichts. Er schaute der Bulldogge direkt in die Augen. Er würde Böhm nicht den Gefallen tun und kuschen.
»Sie können mir Ihren Bericht geben«, sagte Böhm, »und dann sind Sie vorerst von der Mitarbeit am Fall Winter befreit.«
Rath hatte einen Protest auf den Lippen, aber er biss sich auf die Zunge. Würde ja doch nichts ändern. Er reichte Böhm den Hefter. »Und was soll ich stattdessen tun, Herr Oberkommissar?« »Gehen Sie einfach an Ihren Arbeitsplatz. Da sehen Sie alles Weitere.«
Was Böhm mit alles Weitere meinte, sah Rath, als er sein Büro betrat. Auf dem Schreibtisch türmten sich die Aktenberge.
»Was soll ich denn hiermit?«, fragte er seine Sekretärin.
Erika Voss zuckte die Achseln. »Hat Fräulein Steiner gerade gebracht. Mit schönem Gruß von Oberkommissar Böhm. Mehr hat sie nicht gesagt.«
Rath schaute sich die Papierstapel an. Der Fall Wessel. Ungeordnet und chaotisch. Und er sollte es für den Staatsanwalt sortieren und aufbereiten, so stand es auf Böhms Dienstanweisung. Die Bulldogge schien jetzt alles schriftlich zu machen. Das erste Mal, dass Böhm ihn überhaupt mit diesem Fall betraute - von dem blödsinnigen Befehl, die Beerdigung zu besuchen einmal abgesehen. Genau die Art von Arbeit, die Rath hasste, reine Fleißarbeit, zäh und eintönig.
Eine Strafarbeit.
Es klopfte, und Erika Voss steckte ihren neugierigen Kopf durch die Tür. »Käffchen?«, fragte sie.
»Danke nein«, sagte er. »Wo bleibt denn Gräf? Der war doch gerade noch auf der Besprechung.«
»Schon wieder weg«, sagte die Sekretärin. »Mit Lange raus zum Grunewald. Laubenkolonien abklappern, soviel ich weiß. Böhm glaubt, dass dieser Krempin sich dort irgendwo versteckt.«
Böhm hatte ausdrücklich - und schriftlich - vermerkt, dass Rath auch einen Bericht von der Wessel-Beisetzung zu den Akten heften solle, einen Bericht, den nur Gräf schreiben konnte, denn
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