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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Telefonzelle und rief Oppenberg an. Bei dessen Sekretärin ergatterte er eine Einladung zum Abendessen.
    Erika Voss war noch nicht aus der Pause zurück, als Rath bereits an seinem Schreibtisch saß und sich wieder über die Papierstapel hermachte. Ab und an las er ein wenig in den Akten, blieb immer wieder hängen. Ein seltsamer Fall, den die Nazis da zu einem Martyrium aufgeblasen hatten: Eine Zimmerwirtin holt ihre kommunistischen Freunde, um einem säumigen Mieter eine Abreibung zu verpassen. Passenderweise ist Ali Höhler auch noch der Ex-Zuhälter der Hure, mit der Wessel nun zusammenlebt. Die Abreibung eskaliert, der SA-Sturmführer bekommt noch an der Tür einen Schuss ins Gesicht.
    Ein Schuss, der ihn zum Märtyrer der Völkischen macht. Ein komischer Heiliger, dieser Wessel. Ein junger Pfarrerssohn, der in kürzester Zeit die SA in Friedrichshain auf Trab gebracht hatte. Sich dann in eine Nutte verliebt und seine SA seither schmählich vernachlässigt hatte. Das war Goebbels gleichgültig, für Berlins Obernazi gab der Sturmführer einen prima Märtyrer ab. Ein Glück jedenfalls, dass Wessel seinen Verletzungen dann doch erlegen war, womöglich wäre der Vorzeigenazi am Ende noch aus der NSDAP ausgetreten. In den letzten Monaten jedenfalls schien er die Lust an der Politik verloren zu haben. Einige munkelten, Wessel habe schon selbst den Zuhälter für seine Geliebte gespielt, aber das war dann doch wohl eher üble Nachrede aus Kommunistenkreisen.
    Ein heiseres Klingeln riss Rath aus seinen Gedanken.
    Das Telefon auf dem Schreibtisch von Erika Voss. Vielleicht war das ja Gräf. Rath holte den Anruf auf seinen Apparat. »Ja?«
    Irritiertes Schweigen am anderen Ende.
    »Spreche ich mit dem Büro von Kriminalkommissar Rath? Inspektion A?«, fragte eine Frauenstimme.
    »Sie sprechen mit Rath selbst. Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
    »Greulich, Büro Doktor Weiß. Der Vizepolizeipräsident wünscht Sie in einer halben Stunde zu sprechen, Herr Kommissar.« »In welcher Angelegenheit?«
    »Das wird Ihnen Doktor Weiß selbst sagen.«
    Rath war überrascht. Den Vipoprä, wie Zörgiebels Vize in der Burg genannt wurde, hatte er bislang nur aus der Ferne gesehen, kein einziges Wort außer der ein oder anderen Begrüßungsformel mit ihm gewechselt. Was mochte Doktor Weiß, unbestreitbar einer der besten Kriminalisten der Berliner Polizei, von dem einfachen Kommissar Gereon Rath wollen? Hatte Böhm sich bei den Häuptlingen beschwert? Jedenfalls roch es nach Ärger. Zörgiebel wäre ihm lieber gewesen, einer von Vaters Duzfreunden, aber der PP hatte sich über die Karnevalstage nach Mainz verabschiedet.
    Rath verbrachte die nächste halbe Stunde mit Nachdenken über diese Frage, dann legte er der Voss, die immer noch nicht aus ihrer Pause zurück war, einen Zettel hin und machte sich auf den Weg.
    Die Greulich war, anders als ihr Name nahelegte, recht farbenfroh gekleidet. »Die Herren warten schon«, sagte die Sekretärin, und Rath fragte sich, was der Plural zu bedeuten hatte. Sie nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer. »Herr Rath wäre jetzt da«, sagte sie in die Sprechmuschel. Und dann zu Rath: »Gehen Sie einfach durch.«
    Rath ging einfach durch.
    Doktor Bernhard Weiß saß hinter einem großen Schreibtisch voller Akten. Wache Augen hinter dicken Brillengläsern. Der Mann strahlte eine natürliche Autorität aus, und das machte Rath nervös. Mit Zörgiebel konnte er umgehen, aber der Vize schien ein anderes Kaliber zu sein, dem konnte man so schnell nichts vormachen. Allerdings beruhigte ihn der andere Mann ein wenig, der bereits im Zimmer saß.
    Ernst Gennat.
    Wenn der Buddha dabei war, konnte es so schlimm nicht werden.
    Rath wusste, dass Gennat ihn mochte.
    »Guten Tag, die Herren«, sagte der Kommissar, als er eintrat, und gab den Männern in korrekter Dienstrangreihenfolge die Hand. »Setzen Sie sich doch bitte«, sagte Weiß. Ein wenig unterkühlt.
    Kein freundliches: >Nehmen Sie doch Platzt Setzen Sie sich, das klang eher wie in der Schule.<
    Rath setzte sich neben Gennat in einen Polstersessel. Einen Moment lang herrschte Schweigen. Durch die gepolsterte Tür drang leise und irgendwie beruhigend das Geräusch einer Schreibmaschine.
    »Schön, dass Sie so kurzfristig kommen konnten, Herr Kommissar«, begann Weiß das Gespräch. »Es geht um eine delikate Angelegenheit. «
    Rath kam die Situation bekannt vor. Vor knapp einem Jahr hatte ihn jemand des Mordes beschuldigt, damals war Gennat bei ihm

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